Bauernebel-Blog

Charlotte: "The Day After"

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Dürftiger Job-Report und laue Kritiken an Obama-Rede bringen "Hangover"

Und da war sie wieder: Die alte Magie. Zumindest für einen kurzen Moment und beim "Heimspiel" vor 20.000 Demokraten. Nicht ganz wie 2008, als Barack Obama die Welt verzauberte. Aber dennoch mitreißend, bewegend und inspirierend. Es war 22:30 Uhr Ortszeit, als der leicht entzauberte Polit-Messias vor die tosenden 20.000 in der Sportarena in Charlotte (North Carolina) schreitet.

Obama redet um vier weitere Jahre im Oval Office, sucht eine Vorentscheidung im Wahlthriller gegen Rivalen Mitt Romney (derzeit steht es Obama 46,8 %, Romney 46,5 %). Und er will das alte, durch die harten Zeiten fast erloschene Feuer neu entfachen. „Ich liebe dich“, ruft jemand. Hier springt der Funke über. Doch sonst setzte es von den Polit-Pundits in den USA zurückhaltende bis gar harsche "Alles schon gehört"-Kritik an Obamas Parteitagsrede. Es wäre sicher nicht die beste Ansprache gewesen, die Obama bisher gab, so NBCs Chuck Todd: Er wollte offenbar in einer business-mäßigen Performance seine wichtigsten Botschaften loswerden. Vor allem: Er habe mehr erreicht, als Gegner behaupten, stellte die richtigen Weichen für den Weg "Vorwärts", Rivale Romney wolle das Rad in die Bush-Ära zurückdrehen. Offen klang selbst bei freundlichen Rezessionen durch, dass Obamas Rede nicht die beste der "Conventions" war: Bill Clinton und seine Frau Michelle stachen ihn aus.

Freitagmorgen kam gleich die nächste kalte Dusche: Nur 90.000 Arbeitsplätze wurden im August geschaffen, so die Daten des neuen Jobs-Report, die Rate sank nur leicht auf 8,1 %. Der wenig erbauliche Bericht spielt in die Hände von Romney & Co., die einen "Coach"-Wechsel verlangen, da Obama die Wirtschaftsankurbelung nicht auf die Reihe bekomme.

Obama beschönigte Donnerstagabend nichts: Er kenne den Schmerz jener, die ihr Haus verloren, ihre Jobs, sagte er, als es in der Halle kurz fast totenstill wurde. „Doch ich hatte noch nie mehr Hoffnung für Amerika“, brauste er auf: „Unsere Probleme sind lösbar". Der Pfad sei dornig und der Prozess zäh, es werde viele Jahre dauern und großer gemeinsamer Opfer bedürfen. Er verglich seine Anstrengungen mit Präsidentenlegende Franklin D. Roosevelt, der Amerika aus der "Great Depression" führte. Doch am Ende warte "ein besserer Ort", versprach Obama.

Eiskalt geriet seine Abrechnung mit Romney: Der würde Reiche bedienen, die Mittelklasse mit „alten, verkehrten Rezepten“ schwächen, hätte keinen Dunst in der Außenpolitik. Obama rahmte das Duell als Wahl zwischen zwei „fundamental unterschiedlichen Visionen, zwei verschiedenen Pfaden für Amerika“. "Wenn ihr den Wahlzettel in die Hand nehmt, steht ihr vor der größten Wahl in einer Generationen", sagte Obama. Er sprach von "großen Entscheidungen" für Amerika in den nächsten Jahren in Washington, über Arbeitsplätze und die Wirtschaft, Steuern und Defizit, Energie und Bildung, Krieg und Frieden. Er sah große Konsequenzen für Jahrzehnte, "für eure Leben und die eurer Kinder". Obama weiter: Es ginge hier nicht um zwei Kandidaten oder zwei Parteien, "sondern um die Wahl zwischen zwei fundamental unterschiedlichen Visionen für unsere Zukunft".

Obama bat die Amerikaner, "seine" Zukunft zu wählen
Er verriet Details seiner Zukunftspläne, doch die klangen wie die übliche Waschliste an Wahlversprechen: Eine Million Industriearbeitsplätze wollte Obama schaffen, die US-Exporte bis 2014 verdoppeln, Ölimporte bis 2020 halbieren. Obama will 100.000 Mathematik- und Wissenschafts-Lehrer im nächsten Jahrzehnt einstellen, das Wachstum der Uni-Kosten halbieren und das US-Defizit im gleichen Zeitrahmen um vier Billionen Dollar kürzen.

Im Countdown zur Rede war Amerika wieder ins Wahlkampffieber verfallen: Durch Charlotte wehte weiter die Begeisterung für Bill Clintons Sensationsrede. Der hatte Obama richtig dem Ball aufgelegt, findet Cynthia Neff (56), eine Delegierte aus Virginia. "Das Unterholz war weggeräumt", sagte Obama-Topberater David Axelrod im US-TV, vor allem den Kontrast zwischen den zwei konträren Visionen hätte der Ex-Präsident überzeugend herausgearbeitet, die Blockade-Strategie der Republikaner leidenschaftlich angeprangert. Obama konnte so freigespielt "über die Zukunft reden", so Axelrod.

Als "letzte Chance für eine Romanze" hatte der Webdienst "Huffington Post" Stunden vor der Rede die Latte hoch gelegt für den Präsidenten. Genau 60 Tage sind es bis zum Wahltag am 6. November. Zwar war von der "Obamamania", die im Jahr 2008 durch das Land fegte, in Charlotte nur mehr ein Hauch spürbar. Doch immerhin kamen im Countdown zur Rede die Obama-Fans in Feierlaune: Delegierte, ihre Familien und Freiwillige deckten sich in den verstopften Boulevards der North-Carolina-Metropole an den Verkaufsständen mit Obama-Utensilien ein: Buttons, T-Shirts, "Yes we can"-CDs, Hope-Poster. Vor einer Band tanzte eine Gruppe schwarzer Demokraten ausgelassen zu Funk-Rythmen. Nur ein Regenschauer trübte die Stimmung kurz.

Im Regen treffe ich Dianne Feinstein: Sie fand selbstbewusst durch den bisher so erfolgreich verlaufenen Parteitag, dass Obama "die Chance zur Vorentscheidung" hätte, so die Kalifornien-Abgeordnete. Obama selbst musste noch eine tickende Zeitbombe entschärfen: Er telefonierte mit einigen der 50.000 Freiwilligen, die wegen der wetterbedingten Verlegung der Rede vom Football-Stadium in die Halle um ihre Tickets umfielen. Als sich Downtown mit Fans füllte, wurden hastig Räume für Video-Übertragungen freigeräumt.

Obama arbeitete unterdessen bis zur letzten Sekunde an seiner wichtigsten Rede seit der Amtsübernahme vor dem Kapitol in D.C. im Jänner 2009. In der Suite tüftelte er mit Redenschreibern und Strategen am Redetext, bestätigte Beraterin Kristie Greco. Am Nachmittag waren dann auch noch seine beiden Töchter Sasha (11) und Malia (14) aus Washington eingetroffen. Sie wollten den Moment nicht verpassen.

Die Veranstalter setzten im Finale von Obamas Politshow voll auf Starpower: "Avengers"-Beauty Scarlett Johansson (27) appellierte an Jungwähler, zu den Urnen zu gehen, "Desperate Housewives"-Star Eva Longoria (37) attackierte Romney wegen seiner "herzlosen Reichenpolitik". Zuvor sang R&B-Star Mary J. Blige (41) für Obama. Indirekte Schützenhilfe kam sogar von der Wall Street: Der "Dow Jones"-Index kletterte auf 13.292 Punkte, dem höchsten Wert der Obama-Präsidentschaft.

Nur Stunden später wirkt Charlotte am Freitag wie ausgestorben. Die Barrieren sind weg, die Obama-Fans ebenso, Kehrwagen putzen die Boulevards. Nach der Party und den Marathon geschliffener Reden harren die Amerikaner weiter darauf, dass es mit der Wirtschaft aufwärts geht.

 

Mehr von unserem US-Korrespondenten Herbert Bauernebel finden Sie hier auf AmerikaReport.com

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