Trauriger Rekord bei Protesten von Tibetern.
Sie rufen aus den Flammen, um auf das Schicksal ihres Volkes aufmerksam zu machen. Über Jahrzehnte protestierten Tibeter auf den Straßen, saßen im Hungerstreik und baten die Welt um Hilfe. Viele sehen nun keine andere Lösung mehr, als sich anzuzünden.
Die traurige Liste wird immer länger. Zunächst übergoss sich vor vier Jahren ein tibetischer Mönch mit Benzin und zündete sich an, dann verbrannte sich eine junge Mutter von drei Kindern, ein 15-Jähriger aus dem Kloster Ngoshul und auch der Großvater eines spirituellen Lehrers. Hundert Namen umfasst die Liste bereits, hundert Menschen wählten die Selbstverbrennung aus Protest gegen die chinesische Herrschaft.
"Wir brauchen Freiheit und Unabhängigkeit für Tibet", rief der 19-jährige Norbu Damdrul nach Informationen der Internationalen Tibetkampagne (ICT), während er brennend durch die Straße in Ngaba rann. Die 33 Jahre alte Rikyo hinterließ einen Abschiedsbrief, in dem sie wie viele andere Tibeter die Rückkehr des Dalai Lama aus dem Exil fordert. Und sie schreibt: "Wehrt Euch nicht durch Kämpfe, wenn ich lebend in die Hände der Chinesen falle. Steht zusammen, lernt die tibetische Kultur."
Immer wieder taucht diese Forderung in den letzten Worten der Sterbenden auf: Beschützt unsere tibetische Sprache, Kultur und Religion - unsere Identität. Seit Jahrzehnten fühlen sich die Tibeter von den Chinesen unterdrückt. Sie beklagen, dass sie Chinesisch sprechen müssen, ihren Bezirk nicht ohne Genehmigung verlassen dürfen und schlechter bezahlt werden als Chinesen. Mittlerweile, berichten Exiltibeter, habe die Regierung so viele Chinesen in tibetische Gebiete umgesiedelt, dass die Tibeter in ihrer Heimat sogar eine Minderheit bildeten.
Vor mehr als 50 Jahren verließ der Dalai Lama mit Zehntausenden das größte Hochland der Erde. Heute leben etwa 128 000 Tibeter in der Diaspora, ihren Sitz hat die Regierung im nordindischen Dharamsala. Der Premierminister Lobsang Sangay hält die Selbstverbrennungen für die "tragischste Form des Protests". "Dass sie den Tod dem Leben vorziehen, zeigt, wie sehr die Tibeter unterdrückt werden und wie sehr sie leiden", sagt Sangay der Nachrichtenagentur dpa. Das seien grelle Stimmen gegen die Herrschaft der Chinesen.
Die chinesischen Behörden machen hingegen den Dalai Lama und die exiltibetische Gemeinde für die Selbstverbrennungen verantwortlich. Die Protestakte seien aus dem Ausland sorgfältig vorbereitet und orchestriert, heißt es in offiziellen Erklärungen. Heftig kritisiert wird auch, dass die Tibeter, die sich selbst verbrennen, als "Helden" verehrt werden.
"Sie sind unsere Helden", betont Tenzin Chokey, Generalsekretärin des Tibetischen Jugendkongresses. "Sie haben es verdient, so genannt zu werden, also nennen wir sie so." Die Tibeter in Tibet bräuchten allerdings niemanden, der sie anstifte. "Wir ermutigen sie nicht. Im Gegenteil: Sie ermutigen uns", sagt sie.
Die chinesischen Behörden reagieren auf die Selbstverbrennungen meist mit einer Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen und noch mehr Soldaten. Häufig wird die Kommunikation in der Gegend unterbrochen - in Rebkong in der Provinz Qinghai wurden gerade Hunderte von Satellitenschüsseln konfisziert und zerstört, mit denen ausländische Fernsehsender empfangen werden konnten. Auch das Internet wird gekappt, Telefone werden abgehört. Tibeter werden festgenommen und oft jahrelang nicht mehr freigelassen.
"Sie kommen dann in die Militärbasen, werden auf einen Stuhl gefesselt und Soldaten laufen tagelang um sie herum und lassen sie nicht schlafen", berichtet der Mönch Kanyang Tsering. Er sammelt im Kirti Kloster in Dharamsala Informationen aus seiner alten Heimat, der Region Ngaba, in der sich besonders viele Menschen anzünden. "Wenn sie doch einschlafen, benutzen sie elektrische Stäbe, um sie aufzuwecken."
Tsering holt weit aus mit seinen Armen, die in einer dunkelroten Robe stecken, wenn er die Schläge beschreibt, die den Gefangenen beim Spießrutenlauf drohen. "Manche werden auch an Kaminrohre gebunden, die das Haus erwärmen", sagt er. Andere, die sich vor Schmerzen nicht mehr bewegen könnten, würden auf Metallbleche gelegt, unter denen ein Feuer brennt. Die Hitze würden auch die geschundenen Körper sehr wohl noch spüren. "Es gibt keine Foltermethode, die nicht angewendet wird", sagt er niedergeschlagen.
"Die Chinesen kennen nur Stärke", sagt der Repräsentant des Dalai Lama in Neu-Delhi, Tempa Tsering. Und doch seien sie seit drei Generationen in Tibet nicht erfolgreich. Denn sein Volk habe immer neue Wege gefunden, um für seine Rechte zu kämpfen. "Sie versuchten alle friedlichen Wege, wie Proteste und Hungerstreik - und dafür wurden sie unterdrückt, gefoltert, getötet." Nun seien die Tibeter so verzweifelt, dass sie mit ihrem eigenen Tod kämpften.
Ein 21 Jahre alter Mönch, der wochenlang über die Berge des Himalaya lief und so aus Tibet fliehen konnte, verlor seinen Zimmerkameraden durch eine Selbstverbrennung. "Normalerweise zünden wir eine Lampe an, um etwas zu sehen", sagt er. "Er zündete sich an, um die Situation der sechs Millionen Tibeter zu beleuchten."