Neuer britischer Premier verspricht EU-Austritt bis 31. Oktober.
Wenige Stunden nach seinem Amtsantritt hat der neue britische Premierminister Boris Johnson sein Kabinett vorgestellt. Johnson vergab die meisten Ministerämter neu und besetzte Schlüsselposten mit Brexit-Hardlinern wie Dominic Raab (Außenminister), Priti Patel (Innenministerin) und Michael Gove (Vizepremier). Fraktionschef im Unterhaus wird "Ober-Brexiteer" Jacob Rees-Mogg.
Johnson bekräftigte, er werde den EU-Austritt "ohne Wenn und Aber" bis zum 31. Oktober abwickeln. In London protestierten am Abend Tausende Menschen gegen den neuen Regierungschef. Sie forderten umgehende Neuwahlen.
Brexit-Hardliner
Raab soll nach Angaben der Regierung auf den zuvor entlassenen Außenminister Jeremy Hunt folgen. Dieser hatte nach eigenen Angaben einen von Johnson angebotenen anderen Posten ausgeschlagen. Hunt war Johnson in der parteiinternen Urwahl um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May an der Spitze der Tories deutlich unterlegen.
Den bisherigen Innenminister Sajid Javid ernannte Johnson zum Finanzminister. Der Ex-Banker übernimmt den Posten von Philip Hammond. Hammond hatte kurz vor Johnsons Amtsantritt seinen Rücktritt erklärt und dies mit dessen Entschlossenheit begründet, Großbritannien bis zum 31. Oktober wenn nötig auch ohne Brexit-Abkommen aus der EU zu führen. Neben Hammond legten auch Justizminister David Gauke und Entwicklungsminister Rory Stewart ihre Ämter nieder.
Die künftige Innenministerin Patel war 2017 wegen nicht abgesprochener Treffen mit Politikern in Israel als Entwicklungsministerin zurückgetreten. Sie vertritt ebenso wie Raab und Javid eine harte Linie im Brexit-Streit. Vorab war bereits bekannt geworden, dass Johnson den Strategen der Brexit-Kampagne, Dominic Cummings, als hochrangigen Berater in sein Team berief.
Enge Vertraute
Eine Schlüsselposition erhielt auch der Anführer der Brexiteers im Unterhaus, Jacob Rees-Mogg. Er soll als Mehrheitsführer im Parlament dafür sorgen, dass Johnson seinen EU-Austrittskurs durchsetzen kann. Das Unterhaus ist in der Brexit-Frage heillos zerstritten. Mehrmals lehnte es das von Johnsons Vorgängerin Theresa May ausverhandelte Austrittsabkommen mit der EU ab, schob aber zugleich auch einem ungeregelten Brexit einen Riegel vor.
Als Minister ohne eigenes Ressort ernannte Johnson seinen Wegbegleiter Michael Gove. Der bisherige Umweltminister war einer der Anführer der Brexit-Kampagne. Ein Comeback feiert der frühere Verteidigungsminister Gavin Williamson, der das Bildungsressort übernimmt. Williamson war im Mai von May entlassen worden, die ihn verantwortlich machte für ein Informationsleck, durch das eine mögliche Beteiligung des chinesischen Technologiekonzerns Huawei am 5G-Netzausbau in Großbritannien publik wurde.
Schon wenige Minuten nach seiner Ernennung durch Queen Elizabeth II. bekräftigte der 55-jährige Johnson seinen harten Kurs in der Frage des EU-Austritts. Er zeigte sich in seiner zwölfminütigen Ansprache vor der Downing Street 10 optimistisch, eine bessere Vereinbarung mit der EU erreichen zu können als seine Vorgängerin May.
Erste Demos gegen Johnson
Johnson ist bereits der 14. Regierungschef, der unter Elizabeth II. ins Amt gelangte. "Die Briten sind es leid, zu warten", sagte der neue Regierungschef mit Blick auf den geplanten EU-Austritt. Das Votum für den Brexit sei eine "grundlegende Entscheidung" der Briten dafür gewesen, dass "ihre Gesetze von Menschen beschlossen werden, die von ihnen gewählt wurden und die sie aus dem Amt werfen können".
Der EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk gratulierte dem "lieben Boris" zu seiner Ernennung. Er erwarte ein Treffen mit ihm, um "im Detail" über "unsere Zusammenarbeit" zu sprechen, erklärte Tusk. Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein gratulierte dem neuen Regierungschef ebenfalls, äußerte aber zugleich seiner Vorgängerin May "Dank und tiefen Respekt". Österreich bleibe dem zwischen der EU und London ausverhandelten Brexit-Abkommen "voll verpflichtet", fügte sie über Twitter hinzu. ÖVP-Chef Sebastian Kurz verband seine Glückwünsche ebenfalls mit dem Werben um einen "geordneten Austritt". Auf Twitter veröffentlichte er ein Foto, das ihn und Johnson kurz vor der Nationalratswahl im Oktober 2017 in London zeigt, in ihren damaligen Funktionen als Außenminister. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wünschte Johnson eine "glückliche Hand" bei der Amtsführung.
Am Abend protestierten in London Tausende Menschen gegen den neuen Premierminister. Sie zogen zu Johnsons Amtssitz in der Downing Street, die zeitweise gesperrt werden musste. Am Donnerstag erwarten den neuen Regierungschef weitere Proteste: Die oppositionelle Labour-Partei rief für den Abend zu einer Demonstration für Neuwahlen auf. Laut einer Umfrage, die das Institut YouGov veröffentlichte, liegt Johnsons Zustimmungsrate in der Bevölkerung nur bei 31 Prozent.