Sein irres Manifest

Das sind die Opfer des Neonazi-Killers

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Die 40-jährige Jana L. und der erst 20-jährige Kevin S. wurden von Stephan Balliet kaltblütig ermordet.

Halle. Die Welt ist schockiert. Wieder Neonazi-Morde mitten in Deutschland. Der Killer kam in Kampfmontur und Stahlhelm. Stephan B. (27) suchte sich ausgerechnet den höchsten jüdischen Feiertag, den Jom Kippur (Versöhnungstag), für sein eiskalt geplantes Massaker aus. B. machte gezielt Jagd auf Juden, das steht in seinem Manifest, es tauchte kurz nach der Tat im Internet auf.
 
Video zum Thema: Justizministerin und Staatsanwalt über Anschlag
 

Das sind die Opfer des Stephan B.

Der rechtsextreme Stephan Balliet (27) plante ein regelrechtes Massaker in einer Synagoge in Halle. Bis in das Gebäude schaffte er es glücklicherweise nicht, doch mussten am Ende trotzdem zwei Menschen sterben: Jana L. (†40) und Kevin S. (†20) wurden von dem Neonazi ermordet. Zwei weitere Personen wurden schwer verletzt.

Hinrichtung vor Synagoge

Die 40-jährige Jana L. traf nur wenige Meter von ihrem Zuhause entfernt auf ihren Mörder. In einem Video ist zu sehen wie die Frau an Stephan Balliet vorbeigeht, während er versucht die Tür zur Synagoge zu sprengen. "Muss das sein, wenn ich hier langgehe? Mann ey", waren die letzten Worte der 40-Jährigen als sie an dem Neonazi vorbeigeht. Balliet schoss ihr daraufhin mehrmals in den Rücken. Sie soll sofort tot gewesen sein.

In der Mittagspause ermordet

Das zweite Opfer des Neonazi-Killers ist Kevin S. Der 20-jährige Maler machte gerade Mittagspause in einem Dönerimbiss, als Stephan Balliet das Feuer eröffnete. Die Eltern des Mordopfers mussten stundenlang um das Leben ihres Sohnes bangen, als sie von dem Terroranschlag in Halle erfuhren. Vater Karsten L. (43) flehte um ein Lebenszeichen seines Sohnes auf Facebook: "Kevin, ich vermisse Dich und deine Mutter genauso. Seit 12 Uhr als der Horror in Halle Saale los ging."

 

Stephan B. bereitete sich penibel auf Attentat vor

 
Zeigt Waffen. Rita Katz, Terrorismusexpertin in Washington, sieht darin eine Erklärung des Attentäters. In dem PDF-Dokument steht, dass sein Ziel sei, „so viele Anti-Weiße zu töten wie möglich, vorzugsweise Juden“. Weiters zeigt er darin Bilder von seinen Waffen und verweist auf das Live-Video der Tat.
Laut Expertin der Site Intelligence Group finden sich darin für die Ermittler Hinweise auf die Art und Intensität der Vorbereitung auf diesen Angriff.
 
Halle Anschlag Waffe Attentäter Stephan Belliet
© oe24
 
Kein Schutz. Stephan B. wollte in der Synagoge von Halle ein Blutbad anrichten, scheiterte aber an der Tür. Sie hielt seinen Schüssen stand. Zwei Menschen erschoss B. kurz danach (ÖSTERREICH berichtete). Kritik wird laut, warum das Gebetshaus nicht unter Polizeischutz stand wie die meisten europäischen Synagogen.
Ladehemmung. Im Live-Stream des Attentats flucht B. über seine Waffen. Nur weil sie mehrmals Ladehemmung haben, wird ein noch höherer Blutzoll verhindert. Er wollte unzählige Menschen töten: Im Auto hatte er noch vier Kilo Sprengstoff.
 
Das sind die Opfer des Neonazi-Killers
© oe24
 
Opfer. Mittlerweile sind die Opfer identifiziert. Die Frau († 40), die direkt vor der Synagoge starb, ist aus Halle. Der Mann († 20) wurde in einem Kebabimbiss erschossen, er kam aus Merseburg. Zwei weitere Menschen, ein Ehepaar, verletzte B. 15 Kilometer entfernt auf seiner Flucht.
 
Halle Synagoge
© APA/AFP/dpa/SWEN PFORTNER
 
B. kaperte in Folge ein Taxi. Erst auf einer Bundesstraße konnte er endlich gestoppt werden. Die Polizei bat einen Lkw-Fahrer, sich dem Fluchtauto in den Weg zu stellen.
Trauer. Die Bestürzung in Deutschland ist groß. Gestern trauerte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Vertretern des Jüdischen Weltkongresses und weiteren Politikern am Tatort.
 

Vater des Attentäters: "Er gab immer allen anderen die Schuld"

 
Der Täter war äußerst unzufrieden mit seinem Leben, beschreibt der Vater.
 
Video zum Thema: Vater des Täters bestürzt
 
Benndorf. Der Vater des Attentäters Stephan B. sitzt an seinem Esstisch, greift sich immer wieder an den Kopf, kann die Situation nicht fassen. „Es kam immer wieder zu Streit, meine Meinung zählte nicht. Ich komme nicht mehr an ihn ran“, sagt er dem Bild-Reporter. Er erzählt, dass sein Sohn ihn fast jeden Tag besuchte. Auch am Vortag der Bluttat war er da.
 
Bundeswehr. Im Gespräch stockt ihm mehrmals die Stimme: „Dass er jemanden erschossen …“ Der Vater beschreibt einen Sohn, der sehr zurückgezogen lebte, kaum Freunde hatte: „Er war weder mit sich noch mit der Welt im Reinen, gab immer allen anderen die Schuld.“ Schießen lernte Stephan B. bei der Bundeswehr, doch eine Spezialausbildung hatte er nicht, erzählt der Vater.
 
Scheidung. Die Eltern von Stephan B. ließen sich scheiden, als der Sohn 14 Jahre alt war. Er blieb bei der Mutter im Ort Helbra, nur 40 Kilometer entfernt vom Anschlagsort.
Nach dem Abitur begann B. ein Chemiestudium. Zwei Semester später brach er nach einer Magen-OP ab.
Der Täter verdiente sein Geld als Rundfunktechniker. Sonst flüchtete sich in die virtuelle Welt: „Er war nur online“, sagt sein Vater.
 

Überlebende: "Wir waren bereit, zu kämpfen"

 
Rauch füllte den Gang der Synagoge. Die Menschen verschanzten sich im hinteren Raum.
 
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Halle. Es müssen Todesängste gewesen sein. Im Inneren der Synagoge befanden sich zu Mittag 80 Menschen. Mitten in die wich­tigsten Gebete des Jahres am Jom-Kippur-Feiertag krachen plötzlich Schüsse. Attentäter Stephan B. versucht, sich den Weg in das Gebetshaus zu schießen. Die Gläubigen sehen die Attacke live auf den Überwachungskameras.
 
„Plötzlich gab es einen Knall. Ich ging zum Gang und sah, dass Rauch ins Gebäude kommt. Wie nach einer Explosion“, sagt Roman R. (31) der Bild-Zeitung. Sofort verstecken sich die Betenden im hinteren Raum. „Wir haben die Tür zum Gebetsraum verbarrikadiert. Wir waren bereit, zu kämpfen.“
 
Halle
© APA
 
Warten auf Hilfe. Die Augen hatten sie immer auf die Monitore gerichtet: „Wir dachten, dass er in zwei, drei Minuten reinkommt und zu schießen beginnt.“ Sie warteten verzweifelt auf ihre Retter: „Wir hatten schon längst die Polizei gerufen und fragten uns, wann endlich Hilfe kommt.“ Zehn Minuten brauchten die Einsatzkräfte, bis sie eintrafen.
Dann beteten sie weiter. Noch fünf Stunden blieben die Gläubigen in der Synagoge. Sie beteten weiter.
 
Verschanzt. Währenddessen richtete Stephan B. seine Waffen auf den Kebabimbiss daneben. Konrad Rösler verschanzte sich darin auf der Toilette: „Ich schrieb meiner Familie Nachrichten mit dem Handy, schrieb, dass ich sie liebe.“
 

2.200 Menschen sahen Video der Horrortat: Spur in Neonaziszene

 
2.200 Menschen sahen sich das Video des Killers online an, bevor es abgedreht wurde.
 
Halle. Das Video, das Stephan B. von seiner Tat im Internet streamte, gibt weitere tiefe Einblicke. Er schimpft auf Juden, meint, sie seien „die Schuldigen“. Noch mehr flucht er über sich selbst, nennt sich „unfähiger Versager“. Er beschreibt, dass er selbst die Waffen gebaut hat, bevor er sich für ihre Ladehemmungen entschuldigt.
 
Halle Nazi Anschlag Stephan B.
© oe24
 
Gelöscht. Das Live-Video, 35 Minuten lang, filmte er mit einer Helmkamera. Genau fünf Personen sahen sich die Tat wirklich live an. 2.200 streamten später das Attentat. Nach 30 Minuten wurde es gelöscht. Jetzt wird ermittelt, ob der Killer Helfer aus der Neonaziszene hatte.
 

Ermittlungsrichter erließ Haftbefehl

 
Einen Tag nach der Bluttat von Halle hat der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Rechtsterroristen Stephan B. erlassen. Das erklärte ein Sprecher des Bundesanwaltschaft am Donnerstagabend in Karlsruhe. Der Richter habe Untersuchungshaft angeordnet.
 
Der 27-jährige Stephan B. hatte am Mittwoch vor der Synagoge in Halle eine Frau und in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss einen Mann erschossen. Zuvor hatte er vergeblich versucht, die Synagoge mit Waffengewalt zu stürmen, in der sich zu dem Zeitpunkt mehr als 50 Menschen aufhielten und das Jom-Kippur-Fest feierten.
 
Generalbundesanwalt Peter Frank hat die Taten als Terror eingestuft. Nach seiner Überzeugung wollte der Täter in der Synagoge ein Massaker anzurichten. Im Auto von Stephan B. wurden insgesamt vier Kilo Sprengstoff in zahlreichen Sprengvorrichtungen sichergestellt. Auf der Flucht verletzte er mehrere Menschen, ein Ehepaar wird mit Schussverletzungen im Krankenhaus behandelt.
 
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