Die politische Zukunft Ägyptens

Die Zeit nach dem Ausnahmezustand

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Noch hat das Militär die Macht, doch gerade Ägyptens Jugend fordert jetzt einen deutlichen Wandel – weg von Mubarak, hin zur Demokratie.

Was kommt nach der Euphorie? Derzeit hält das Oberkommando der Armee alle Macht, der Militärrat diktiert, regiert, entscheidet. Zwar versprach Armee-Chef Mohamed Hussein Tantawi, schon in den nächsten Wochen den Weg zu freien Wahlen und zu einer demokratischen Gesellschaft zu öffnen. Ebenso versprach er eine Änderung der Verfassung und das Aufheben des Ausnahmezustands, der dem Regime bisher immer freie Hand gegen Kritiker gegeben hatte.

Frische Kraft
Einen fixen Plan zum Umsetzen dieser Schritte gibt es nicht, auch ist noch völlig offen, welche Parteien und Personen nun an die Macht streben. Fünfzig Prozent der ägyptischen Bevölkerung (84 Millionen) sind unter 24 Jahre. Sie fordern neue Gesichter, frische Kraft.

Kandidaten
Eine ihrer Galionsfiguren wäre Wael Ghonim, (30) zentrale Figur des Cyber-Aufstands in Ägypten. Ghonim – er war Marketingchef von Google in Dubai – hatte mit seinen Facebook-Aufrufen die „Tage des Zorns“ ins Leben gerufen. Seither ist er ein Held und politischer Sprecher der Jugend am Tahrir-Platz. Macht aber will er nicht: „Ich verspreche allen, ich werde wieder in mein normales Alltagsleben zurückkehren“, sagte er nach Mubaraks Sturz.

Mohamed ElBaradei (69), Ex-Chef der Atomenergiebehörde in Wien, würde sofort eine Übergangsregierung anführen. Ihn lehnen die meisten Demonstranten aber ab: „Er kennt unsere Sorgen nicht, war zu lange im Ausland.“ Zurückhaltung auch gegenüber Mohammed Badie, Chef der Moslembruderschaft. Wunschkandidat der Jugend ist derzeit Amr Mussa (74), ehemaliger Außenminister, Chef der arabischen Liga, Volksliebling.

Nach der Revolution kam das große Aufräumen

So erlebte der ÖSTERREICH-Reporter die Aufbruchstimmung in Kairo.

Ein Land räumt auf. Wieder stehe ich am Tahrir-Platz, es ist Samstag, der Himmel blau. Wie in den 18 Tagen zuvor, schieben sich Menschenmassen über den Platz, doch das Bild ist ein gänzlich anderes: Anstatt fahnenschwenkend das Victoryzeichen zu recken, schleppen sie Besen, Schaufeln, Müllsäcke heran. Saubermachen: „Wir räumen Ägypten auf“, lacht Imam Hashem, (30) eine Webdesignerin: „Die Welt soll sehen, dass wir kein Chaosland sind.“

Demonstranten bauen Zelte und Plastikplanen ab
Hunderte Putzkolonnen sind unterwegs, auch Nur Kader (31) und ihre Freundinnen sind dabei. Nur ist Zivilingenieurin, arbeitet für Kairos Stadtbauamt: „Vor 24 Stunden hatte ich noch Angst, dass es ein Blutbad geben könnte – und jetzt das.“

Frauen und Männer kehren, gleichzeitig beginnt die Armee, Barrikaden niederzureißen. Stacheldrahtrollen werden weggeräumt, aus der ganzen Stadt werden Panzer abgezogen, vielleicht zu früh: „Jetzt sieht unsere Zukunft besser aus“, sagt Hassan Ibrahim, ein 44-jähriger Arzt: „Meine Kinder werden es besser haben, frei aufwachsen können“, meint er.

Eine Gruppe junger Männer beginnt damit, Zelte und Plastikbehausungen abzubauen, in denen die Demonstranten in den vergangenen Wochen ausgeharrt haben. Einer davon ist Mohamed Faheem, 34, vor der Revolution Bauingenieur in Dubai. Dann hockte er 18 Tage im Zelt am Tahrir-Platz: „Alles haben wir erlebt: Hass, Wut, Frust. Molotow-Cocktails, Straßenschlachten mit Mubarak-Schergen, Regen, Kälte – aber wir hielten durch. „Und: „Jetzt machen wir aus Ägypten das Deutschland der arabischen Welt.“

Wie die meisten Demonstranten fordert Mohamed keine Macht. Es reicht ihm, Geschichte geschrieben zu haben: „Wir wollen auch keine Blutrache, nur Gerechtigkeit. Mubarak soll aber vor Gericht gestellt werden“, fordert er.

Geschäfte sind nach Tagen erstmals wieder geöffnet
Stolz und extrem positiv motiviert: So präsentiert sich Kairo am Tag danach. Selbst auf den Baustellen neben dem Tahrir-Platz wird wieder gearbeitet. Alle Geschäfte sind geöffnet, die fliegenden Händler sind auch wieder da, die schwimmenden Restaurants am Nil ebenso. Zwölf Stunden zuvor fielen sich die Menschen noch euphorisch jubelnd um den Hals: „Freiheit, Freiheit!“ Millionen Fahnen wurden geschwenkt, Tränen des Glücks flossen, bengalische Feuer wurden gezündet. Kairo – ein einziges Feuerwerk des Glücks.

Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten
Bis fünf Uhr früh zogen sie durch die Straßen. Jetzt denken sie schon an morgen: „Das ist jetzt ein neues Land. Wir werden die Welt positiv überraschen“, lacht Maged Fahmi, ein Anwalt. Eine Freude, die hoffentlich nicht zu früh kommt: Als ich Samstagnachmittag den Tahrir-Platz verlasse, kommt es plötzlich zu Zusammenstößen zwischen Armee und einer Handvoll Demonstranten. Einige wollten auch gestern nach dem Rücktritt Mubaraks den Tahrir-Platz noch nicht verlassen. Die Stimmung in Kairo bleibt trotz aller Freude angespannt.

K. Wendl

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Jubel auf Ägyptens Straßen