Die Syrien-Krise lässt die Kluft zwischen Russland und dem Westen immer tiefer werden.
Es ist ein starkes Signal Moskaus in ohnehin angespannter Atmosphäre. Völlig unvermittelt sagt Kremlchef Wladimir Putin ein lang vorbereitetes Treffen mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande ab. Putin beschwichtigt zwar am Mittwoch: "Wir haben gute Beziehungen." Doch Experten bezweifeln nicht, dass die Gründe des Kremls vor allem Differenzen im Syrien-Konflikt sind.
"Kriegsverbrechen" und Einmischung in den US-Wahlkampf - die Vorwürfe gegen Russland zeigen verhärtete Fronten. So wirkt Putins Absage an Hollande wie eine weitere Episode der Entfremdung zwischen Russland und dem Westen wie zu Zeiten des Kalten Krieges.
"Nukleare Erpressung des Kremls"
Die Vorwürfe einer russischen Einmischung in den US-Wahlkampf wischt Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow als Unsinn vom Tisch. "Eine solche Aufmerksamkeit schmeichelt uns", meint er süffisant. Russland als Thema in den Wahlkampf hineinzuziehen, schade den Beziehungen, betont auch Putin. Doch der Schaden ist schon längst da.
Als die USA vor einer Woche demonstrativ den Dialog mit Russland über eine neue Waffenruhe in der umkämpften syrischen Großstadt Aleppo aussetzten, legte Putin kurzerhand ein Abkommen über die Vernichtung von atomwaffenfähigem Plutonium auf Eis. "Die nukleare Erpressung des Kremls", schreibt das regierungskritische Magazin "New Times".
Signal an Washington
Zwar gilt das Plutonium-Abkommen eher als zweitrangig, doch sehen Beobachter in dem Schritt ein Signal an Washington. Es sei möglich, dass auch wichtigere Abkommen zur Waffenkontrolle irgendwann als Bauernopfer im weltpolitischen Spiel um Macht und Interessen eingesetzt würden, sagt Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie Zentrum.
Schon werden auch in Deutschland Rufe nach neuen Sanktionen wegen Russlands andauernder Luftangriffe in Syrien lauter. Möglich, dass es nicht so komme, sagt der Politologe Fjodor Lukjanow. "Aber von der Hoffnung auf eine noch vor wenigen Monaten erwarteten Lockerung der Strafmaßnahmen können wir uns erstmal verabschieden", schätzt der Herausgeber der Zeitschrift "Russia in Global Affairs".
Sanktionen
EU und USA hatten die Sanktionen wegen der Ukraine-Krise verhängt. Nach der als Völkerrechtsbruch kritisierten russischen Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim hatte der Westen versucht, Russland zu isolieren. Aber von Isolation ist in Moskau keine Spur.
Für diesen Samstag bereitet Putin eine Reise zum BRICS-Gipfel wichtiger Schwellenländer in Indien vor. Sein enger Vertrauter Dmitri Peskow betont zudem, Putin sei zu Gesprächen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsidenten Hollande und dem ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko über Frieden für den Donbass bereit.
Flexible Allianzen
Nicht zuletzt setzt Putin auf flexible Allianzen. Erst am Montag hatte er seine neue Freundschaft mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Istanbul inszeniert. Auch im Syrien-Konflikt wäre eine Zusammenarbeit mit der Türkei eine willkommene Wendung für Putin, und sei es auch nur vorläufig wegen unterschiedlicher Ziele.
In Syrien arbeitet Russland beständig daran, seine militärische Stellung auszubauen. Mehrere Kriegsschiffe hat die Marine ins Mittelmeer verlegt. Der Föderationsrat bestätigte zudem ein Abkommen mit Syrien, die russisch genutzte Basis bei Latakia zu einem ständigen Stützpunkt aufzurüsten.
Streit mit dem Westen
Vor allem aber die andauernden Bombardements in Aleppo schüren den Streit mit dem Westen. "Die Ereignisse der vergangenen Tage zeigen, dass Russland in Syrien auf einen militärischen Sieg in Aleppo setzt ohne Rücksicht auf Proteste des Westens", sagt der Experte Wladimir Sotnikow. Ein Sieg in Aleppo wäre vermutlich ein Wendepunkt in dem Krieg.
Das Wichtigste sei, eine Konfrontation zwischen Russland und den USA zu vermeiden, meint Lukjanow in der Zeitung "Rossijskaja Gaseta". "Ein Kalter Krieg ist vor allem in der Anfangsphase gefährlich, wenn noch nicht klar ist, wo die "roten Linien" verlaufen."
Sein Kollege Trenin meint: "Das russische Militär wettet vermutlich darauf, dass die scheidende US-Regierung in (Präsident Barack) Obamas letzten Amtstagen keinen Krieg gegen Damaskus anfangen wird." Die Lage könne aber schnell dazu führen, dass die beiden Großmächte in Syrien unter Beschuss geraten, warnt er. "Dies ist eine außergewöhnlich verstörende Aussicht, die den Menschen in Moskau und Washington schlaflose Nächte bereiten sollte."