Wissenschaftler:innen ist es gelungen, ein Molekül herzustellen, das unter normalen Bedingungen auf der Erde nicht stabil bleibt.
Die Verbindung trägt den Namen Orthokohlensäure – auch bekannt als Methantetrol oder umgangssprachlich „Super-Alkohol“. Damit haben sie ein chemisches Rätsel gelöst, das seit über 100 Jahren besteht. Um den Stoff sichtbar zu machen, mussten Bedingungen geschaffen werden, wie sie sonst nur im Weltall vorkommen.
"Orthokohlensäure" erstmals erfolgreich hergestellt
Bereits im Jahr 1922 vermutete der deutsche Chemiker Ernst Wilke, dass es ein Molekül mit der chemischen Formel C(OH)₄ geben könnte. Diese Verbindung besteht aus einem Kohlenstoffatom, das mit vier Hydroxylgruppen (OH) verbunden ist. Das Problem: Auf der Erde zerfällt dieses Molekül fast sofort – es ist unter normalen Bedingungen nicht stabil.
Simulation von Weltraumbedingungen im Labor
Die entscheidende Idee der aktuellen Forschung: Was auf der Erde nicht funktioniert, könnte unter Bedingungen gelingen, wie sie im All herrschen. Im Labor wurde ein Gemisch aus Kohlendioxid und Wasser in einem Vakuum extrem abgekühlt – bis sogenanntes Weltraumeis entstand. Dieses wurde dann mit Strahlung beschossen, die vergleichbar ist mit kosmischer Strahlung aus dem All, etwa von Sternen oder explodierenden Sternen (Supernovae). Durch diese Strahlung kam es zu einer Reaktion – und am Ende entstand tatsächlich Orthokohlensäure. Ein Molekül, das bislang nur theoretisch beschrieben wurde, war nun Realität.
Seit 1922 nur Theorie – jetzt Realität: Orthokohlensäure wurde erstmals nachgewiesen.
Die Entdeckung zeigt, dass im All offenbar andere chemische Abläufe stattfinden können als auf der Erde. Die Chemie dort ist nicht nur anders – sie scheint mit irdischen Maßstäben kaum zu vergleichen zu sein. Das Molekül Methantetrol ist nur ein Beispiel für das, was in den kalten und dunklen Wolken des Weltraums entstehen kann. Allerdings bleibt eine Herausforderung: Das Molekül zerfällt sehr schnell, sobald es mit Licht in Berührung kommt. Daher ist es schwer zu finden – auch wenn man nun weiß, wonach man suchen muss.
So viel wissen wir eigentlich über Moleküle im All
Bisher kennen Forscher:innen nur einen Bruchteil der chemischen Verbindungen, die es im All geben dürfte. Einige Fachleute schätzen, dass weniger als ein Prozent aller möglichen Moleküle bisher entdeckt wurden. Erst 2024 war ein anderes, ähnlich instabiles Molekül – Methantriol – nachgewiesen worden. Die aktuelle Studie ist daher nur ein erster Schritt. Wissenschaftler:innen wollen nun besser verstehen, wie solche Verbindungen entstehen und ob sie womöglich Hinweise auf die Entstehung von Leben geben könnten.
Ein neuer Blick auf die Chemie im All
Die Studie wurde von einem internationalen Forschungsteam durchgeführt und in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. Ralf Kaiser von der University of Hawaiʻi in Mānoa (USA) erklärte dazu: „Diese Arbeit erweitert unser bisheriges Wissen über die Chemie im Weltraum.“ Die Erkenntnis: Die Bedingungen im Weltall ermöglichen chemische Reaktionen, die auf der Erde so nicht vorkommen – und die trotzdem entscheidend sein könnten, um grundlegende Fragen über unser Universum zu beantworten.