Der ehemalige afghanische Präsident rechnet mit einer neuen Flüchtlingswelle.
Ein Jahr nach der Rückkehr der militant-islamistischen Taliban an die Macht warnt der ehemalige afghanische Präsident Ashraf Ghani vor einer neuen Flüchtlingswelle. „Millionen Afghanen werden noch aus Afghanistan fliehen“, so der Ex-Präsident im Interview mit der „BILD.“ „Die Menschen haben das Gefühl der Hoffnung, das Gefühl der Zugehörigkeit verloren“.
Ob es die Menschen wirklich nach Europa schaffen „hängt auch von den Schleppern ab“, so Ghani weiter. „Sie sind Teil eines kriminellen Netzwerks, also ist es eine Frage der Erschwinglichkeit.“ Afghanistan mache nach der Machtübernahme der Taliban ein Trauma durch, so Ghani weiter. „Es muss einen politischen Prozess geben, um sicherzustellen, dass Afghanistan Stabilität erreicht und nicht in einen endlosen Bürgerkrieg hineingeworfen wird. Die Menschen in Afghanistan haben nach 44 Jahren ununterbrochener Gewalt genug davon, ein Schlachtfeld zu sein.“
Ghani verteidigt Flucht
Ghani verteidigt auch weiterhin seine Flucht aus dem Land. "Ich bin gegangen, weil ich den Taliban und ihren Anhängern nicht das Vergnügen bereiten wollte, einen afghanischen Präsidenten erneut zu demütigen", sagte er dem US-Sender CNN in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview.
Die gesamte Schutztruppe des Präsidenten habe sich damals aufgelöst und Zivilkleidung angezogen. Auch der Verteidigungsminister sei geflüchtet. "Ich war der letzte, der ging", sagte Ghani, der am 15. August 2021 ins Ausland geflohen ist.
Taliban machen Jahrestag der Machtübernahme zu afghanischem Feiertag
Die militant-islamistischen Taliban haben für den Jahrestag ihrer Rückkehr an die Macht in Afghanistan einen Feiertag ausgerufen. Der 15. August markiere den "ersten Jahrestag des Sieges des vom Islamischen Emirat Afghanistan angeführten afghanischen Jihad über die amerikanische Besatzung und ihre Verbündeten", schrieb das Ministerium für Arbeit und Soziales am Sonntag in einer Mitteilung zur Ankündigung des Feiertages.
Die Taliban waren vergangenes Jahr auf wenig Gegenwehr der afghanischen Streitkräfte gestoßen, als sie das Land nach und nach unter ihre Kontrolle brachten und schließlich die Hauptstadt Kabul einnahmen. Die US- und NATO-Truppen zogen ab. USA. Nach der Einnahme Kabuls durch die Taliban erfolgte ein internationaler militärischer Evakuierungseinsatz. Am Flughafen der Hauptstadt spielten sich dramatische Szenen ab, als viele Menschen das Land verlassen wollten.
Seit ihrer Rückkehr an die Macht unterdrücken die Taliban jede abweichende Meinung. Willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Tötungen ehemaliger afghanischer Amtsträger und Angriffe der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gegen religiöse Minderheiten haben zugenommen. Auch die wirtschaftliche Not ist größer als zuvor. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist von Hunger bedroht.