Oppositionskandidat Imamoglu in Istanbul mit hauchdünnem Vorsprung - Auch Ankara geht an CHP.
In der Türkei hat die Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den Kommunalwahlen eine herbe Niederlage erlitten: Nach Jahren an der Macht verlor die islamisch-konservative AK-Partei laut vorläufigen Wahlergebnissen das Rathaus in der Hauptstadt. Auch in Istanbul lag die Mittel-Links-Oppositionspartei CHP mit hauchdünner Mehrheit vor der AKP.
Nach einem nervenaufreibenden Kopf-an-Kopf-Rennen in Istanbul ging dort am Montag der Oppositionskandidat in Führung. Der Kandidat der linksnationalistischen CHP, Ekrem Imamoglu, habe einen Vorsprung von fast 28.000 Stimmen vor dem AKP-Kandidaten Binali Yildirim, erklärte der Chef der Hohen Wahlkommission (YKS), Sadi Güven, in der Früh. Demnach kam Imamoglu auf 4.159.650 Stimmen, während der frühere Ministerpräsident Yildirim 4.131.761 Stimmen erreichte.
Zwischenzeitlich sahen türkische Medien allerdings Yilderim erneut in Führung, nach Auszählung von rund 99,8 Prozent der Stimmen hatte dann aber doch wieder die CHP und Imamoglu einen minimalen Vorsprung.
Yildirim erklärte sich zu Wahlsieger
Schon bevor die Stimmen komplett ausgezählt waren, hatte sich Yildirim am späten Sonntagabend vor jubelnden Anhängern in Istanbul zum Wahlsieger erklärt und den Wählern gedankt. Imamoglu warf ihm daraufhin "Manipulation" vor und forderte, das Ende der Auszählung abzuwarten. Am frühen Morgen erklärte er sich dann bei einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz selbst zum Sieger, da er gemäß den vorliegenden Ergebnissen einen uneinholbaren Vorsprung habe.
Sollte sich Imamoglus Sieg in Istanbul bestätigen, hätten die Türken Erdogan und seiner Partei gleich einen doppelten Denkzettel verpasst: Auch in der Hauptstadt Ankara lag der CHP-Kandidat Mansur Yavas mit 50,9 Prozent klar vorn. Mehmet Özhaseki von der AKP erreichte nur 47 Prozent. "Ankara hat gewonnen, der Verlierer in Ankara ist Özhaseki. Die schmutzige Politik hat verloren, die Demokratie hat gewonnen", rief Yavas vor jubelnden Anhängern.
Persönliche Niederlage für Erdogan
Das Ergebnis ist auch persönlich eine Niederlage für Erdogan, da er die Kommunalwahlen zu einer Art Referendum über seine Politik gemacht hatte. Obwohl er selbst nicht zur Wahl stand, tourte er über Wochen durchs Land und trat binnen 50 Tagen auf mehr als hundert Kundgebungen auf. Wie in früheren Wahlkämpfen setzte er auf eine polarisierende Rhetorik und erklärte den Urnengang zu einer Frage des "nationalen Überlebens".
Ebenso wie Istanbul wurde Ankara seit 25 Jahren von der AKP beziehungsweise ihrer Vorgängerpartei regiert. Jeder vierte Türke lebt in einer der beiden Metropolen. Laut der Zeitung "Cumhuriyet" gewann die CHP auch in den Städten Izmir (58 Prozent, AKP 39 Prozent) und Antalya (CHP 51 Prozent, AKP 46 Prozent). In Bursa hingegen lag die AKP mit knapp 50 Prozent vor der CHP (47 Prozent).
Die AKP kündigte in der Nacht an, dass sie eine erneute Überprüfung der zehntausenden ungültigen Stimmen in Ankara und Istanbul beantragen werde. Zumindest in Ankara dürfte dies aber am Wahlsieg der Opposition nichts ändern. Laut Medienberichten legten sowohl AKP als auch CHP Beschwerden ein. Dafür seien drei Tage Zeit, wie Güven sagte.
Nächtliche Rede Erdogans
In einer nächtlichen Rede vom Balkon des AKP-Hauptquartiers in Ankara vermied es Erdogan, sich klar zu den Ergebnissen in den beiden Metropolen zu äußern. Insbesondere erklärte er nicht, dass Yildirim gewonnen habe. Der AKP-Vorsitzende betonte allerdings, dass seine Partei in Istanbul die meisten Bezirke gewonnen habe. Insgesamt werde sie in 56 Prozent der Rathäuser im Land regieren sowie in 16 Großstädten, sagte er.
Auch wenn die AKP im Bündnis mit der ultrarechten MHP landesweit 51,7 Prozent der Stimmen erhielt, ist das Ergebnis in Ankara und Istanbul für sie eine herbe Niederlage. Ankara ist das politische Zentrum des Landes, während die 15-Millionen-Metropole Istanbul ihr kulturelles und wirtschaftliches Herz ist. Zudem begann Erdogan seine Karriere am Bosporus und feierte dort mit der Wahl zum Bürgermeister 1994 seine ersten Erfolge.
Wähler beschäftigte schlechte Wirtschaftslage
Viele Wähler beschäftigte zuletzt vor allem die schlechte Wirtschaftslage. Erstmals seit 2009 ist die Türkei in die Rezession gerutscht. Besonders in den Großstädten macht sich der starke Anstieg der Lebenshaltungskosten seit dem Absturz der Währung im vergangenen Sommer schmerzhaft bemerkbar. Bei seiner Balkonrede versprach Erdogan, die Zeit bis zu den nächsten Wahlen 2023 für wirtschaftliche Reformen zu nutzen.
Der SPÖ-EU-Abgeordneter Josef Weidenholzer wertete den Sieg der Oppositionspartei als "wichtiges Hoffnungszeichen". Das "System Erdogan" bekomme Risse. Zudem betonte er: "Faire und freie Wahlen sehen definitiv anders aus als die gestrigen Kommunalwahlen." Ähnlich äußerten sich die Grünen in Deutschland.