Gipfelauftakt

Keine Bewegung bei Migration und Brexit

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Der erste Gipfeltag ging ohne nennenswerte Annäherung zu Ende.

Ohne nennenswerte Annäherung bei den dominierenden Themen Migration und Brexit ist der erste Tag des EU-Gipfels in der Nacht auf Donnerstag in Salzburg zu Ende gegangen. Die britische Premierministerin Theresa May kündigte ergänzende Vorschläge für die Irland-Grenzfrage an, wie aus EU-Kreisen zu hören war. Ein Fortschritt in den zähen Brexit-Verhandlungen zeichnete sich jedoch nicht ab.
 

Irland-Frage

May forderte einmal mehr von der EU mehr Flexibilität bei den noch offenen Fragen. Großbritannien sei der EU schon sehr weit entgegengekommen, nun müsse auch die EU sich bewegen, so May laut Ratskreisen bei einem mehrstündigen gemeinsamen Abendessen der EU-Staats- und Regierungschefs in der Felsenreitschule, das kurz nach Mitternacht endete. Sie betonte auch einmal mehr, dass es kein zweites EU-Referendum in Großbritannien geben soll. Der Brexit werde durchgezogen, so May demnach. Im künftigen Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU kann sich May vorstellen, dass Waren und Dienstleistungen von der Personenfreizügigkeit getrennt werden. Sie stimmt einem Brexit-Sondergipfel im November zu.
 
Am heutigen Donnerstag wollen die EU-27 ohne May weiter über den Brexit beraten. Wenig zuversichtlich zeigte sich die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite nach dem Treffen am Mittwoch: "Gegenwärtig gibt es Stillstand. Es gibt keinen Fortschritt", sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters. Der slowakische Regierungschef Peter Pellegrini sagte, in der zentralen Frage des künftigen Grenzregimes zwischen dem britischen Nordirland und der in der EU verbleibenden Republik Irland habe es keine Bewegung gegeben. "In der Grenzfrage gab es keinen Fortschritt. Wir werden sehen, was die Diskussion unter den 27 morgen ergibt."
 
Die Frage der künftigen Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und Irland gilt als schwierigstes Problem bei den laufenden Brexit-Verhandlungen. Die EU und Großbritannien wollen eine "harte" Grenze mit Kontrollen vermeiden, um das Karfreitagsabkommen von 1998 zur Beilegung des blutigen Nordirland-Konflikts nicht in Gefahr zu bringen. An den Details spießt es sich aber bisher.
 

Kurz fordert Kompromiss

May betonte in Salzburg laut ihrer Regierung, dass "Verzögerungen oder eine Verlängerung" der Gespräche "keine Option" seien. Sie lehnte demnach erneut einen Vorschlag der EU-Kommission ab, nach dem ohne andere Vereinbarung die britische Provinz Nordirland notfalls de facto im EU-Binnenmarkt und der Zollunion bleiben würde. Die Premierministerin verwies den Angaben zufolge darauf, dass dies "die rechtliche Teilung des Vereinigten Königreichs in zwei Zollgebiete" bedeute.
 
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte zuvor einmal mehr Kompromissbereitschaft seitens Londons gefordert. "Wir müssen alles tun, um einen harten Brexit zu vermeiden", sagte Kurz. "Wir bemühen uns um einen Kompromiss." Gleichzeitig sei aber auch Kompromissbereitschaft der britischen Regierungschefin Theresa May gefordert.
 

Migration

Auch beim Thema Migration zeichnete sich beim Auftakt des informellen EU-Gipfels in Salzburg keine Annäherung der verhärteten Fronten ab. Beim Gipfel habe es zwar Einigkeit gegeben, dass die Zusammenarbeit der EU mit Drittstaaten wie Ägypten im Bereich Migration ausgebaut werden soll. Doch bezüglich der internen Dimension der Migration in der EU würden die Meinungsverschiedenheiten der EU-Staaten weiter bestehen, sagte ein EU-Diplomat in der Nacht. Das Thema soll deswegen am Donnerstag weiter behandelt werden.
 
Der EU-Ratspräsident Donald Tusk kritisierte bereits vor Beginn des Treffens jene Staaten, die das Migrationsthema für "politische Spiele" missbrauchen. Die Neuankünfte von Flüchtlingen seien von zwei Millionen im Jahr 2015 "auf weniger als 100.000 heuer" gesunken. "Das ist weniger als in den Jahren vor der Krise. Trotz der aggressiven Rhetorik bewegen sich die Dinge in die richtige Richtung", sagte er.
 
Angesprochen von der Kritik fühlte sich offensichtlich der italienische Premier Giuseppe Conte. Er konterte bei seinem Eintreffen in Salzburg in Richtung Tusk: "Die Migrationsproblematik ist kein Wahlkampfthema. Es stehen keine Wahltermine unmittelbar an. Die Wahrheit ist, dass Migration ein wichtiges Thema ist, für das die Politik Verantwortung übernehmen und Antworten geben muss", sagte Conte laut der italienischen Nachrichtenagentur ANSA.
 
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rief die EU-Staaten in Salzburg einmal mehr dazu auf, sich in Migrationsfragen solidarisch zu zeigen. "Man braucht Solidarität, das ist kein leeres Wort. Die einen nehmen Flüchtlinge auf. Die, die das nicht können, die das nicht wollen, obwohl sie das müssen, die müssen sich in Sachen Solidarität bewegen."
 
Bundeskanzler Kurz betonte vor Beginn des Gipfels, dass er sich auf Gemeinsamkeiten fokussieren wolle. Diese seien vor allem in puncto Außengrenzschutz gegeben, auch wenn es bei der Frage um den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex "Bedenken" gebe, die man "noch ausräumen" müsse. Er hoffe, dass das Frontex-Mandat noch unter österreichischem Ratsvorsitz im Dezember beschlossen werden könne.
 

Grenzschutz

Vor allem die südeuropäischen Länder wollen das nationale Kommando über ihren Grenzschutz nicht abgeben. Ablehnung kam am Mittwoch aber auch von Ungarns Regierungschef Viktor Orban. Es sei zwar gut, dass sich die EU in der Flüchtlingsfrage nun auf den Grenzschutz konzentriere, sagte er beim Treffen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) vor dem informellen EU-Gipfel in Salzburg. Ungarn sei aber in der Lage, seine Grenze selbst zu schützen. "Wir bestehen auf unser Recht, dass das unser Job ist".
 
 Juncker stellte sich unterdessen hinter EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos, der wegen seiner Weigerung, einen Vorschlag zu EU-Asylcamps in Afrika zu machen, vom amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) scharf kritisiert worden war. "Er ist mein Kommissar", sagte Juncker.
 
Auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zeigte sich zurückhaltend zu Asylcamps in Afrika. "Mein Eindruck ist, dass es derzeit kein nordafrikanisches Land gibt, das bereit ist, ein solches Zentrum zu beherbergen. Und das ist begründet", so Mogherini. Die EU sei aber weiterhin im Gespräch mit Ägypten, Tunesien, Marokko und anderen Ländern. Zur Militäroperation "Sophia" sagte Mogherini, dass es Übereinstimmung gebe, die Mission im Mittelmeer zur Schlepperbekämpfung weiterzuführen. Keine Einigung gebe es jedoch zur Frage, wohin die im Rahmen der Mission geretteten Flüchtlinge gebracht werden sollen.
 
Tusk schlug einen Gipfel der EU mit der Arabischen Liga im Februar in Ägypten vor. Er werde diese Idee bereits am Sonntag mit Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi in New York besprechen, sagte ein EU-Diplomat.
 
Juncker stärkte auch seinem luxemburgischen Landsmann Jean Asselborn im Konflikt mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini den Rücken. "Das, was da gesagt wurde, hätte man auch öffentlich sagen können", sagte Juncker am Mittwochabend in einer ZiB-Spezial aus Salzburg zu dem Eklat am vergangenen Freitag bei einem EU-Afrika-Treffen in Wien. Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel hatte sich zum Auftakt des EU-Gipfels in Salzburg "enttäuscht" von der österreichischen Ratspräsidentschaft wegen des Eklats mit Salvini gezeigt. Er hätte sich erwartet, dass die österreichische Präsidentschaft sagt, "dass das nicht geht", sagte er mit Blick auf Kickl, der das Treffen am Freitag ausgerichtet hatte. Salvini hatte ein heimlich gefilmtes Video veröffentlicht, auf dem Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nach einer Provokation durch den italienischen Minister in Rage geraten war.
 
Parallel zum Gipfel-Auftakt fanden am Mittwoch Proteste gegen die Grenz- und Abschottungspolitik der EU in Salzburg statt. Rund 400 Demonstranten versammelten sich zum "Marsch der Verantwortung" in der Mozartstadt. Es sei zynisch, dass die Regierungschefs ihren Gipfel mit "Sicherheit" betiteln, dem Sterben im Mittelmeer aber zusehen würden, sagte Alina Kugler vom Bündnis "Solidarisches Salzburg". Bei dem Protestmarsch wurde mit Namensschildern auf jene 30.000 Flüchtlinge aufmerksam gemacht, die in den vergangenen 25 Jahren auf der Flucht nach Europa gestorben sind.
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