Libyen

Mit den Rebellen auf Gaddafi-Jagd

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ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl berichtet live aus der Libyen-Hölle.

Die Rebellen haben fast 100 Prozent von Tripolis in ihrer Macht. Seit gestern ist ­ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl vor Ort bei ihnen.

Libyen LIVE: Die aktuelle Lage rund um Tripolis

„Diesmal wird er nicht überleben“, johlen sie, die Kämpfer der Rebellen in Tripolis. Sie reißen ihre Kalaschnikows in die Luft, feuern Freudensalven in den Himmel, rufen „Allahu Akbar – Gott ist groß“. Sie tanzen, lachen, schwenken die Königsfahne: rot, schwarz, grün.

Die Hauptstadt Libyens liegt im Chaos. Im Hintergrund sind noch Schießereien zu hören. Überraschend: Man kann sich in der ganzen Stadt frei bewegen. Nur der City-Highway ist absolute Sperrzone. Dort liegen nonstop die wohl letzten Scharfschützen des Gaddafi-Regimes auf der Lauer.

Das Machtzentrum des Diktators Muammar al-Gaddafi gibt es nicht mehr, seine ehemalige Festung Bab al-Asisija in Tripolis wird zum Trümmerhaufen. Hier residierte der verhasste Diktator: „Sie haben sogar sein Golf-Auto gefunden und seine Goldbüste zertreten“, schreit ein Rebell in mein Mikrofon.
Es sind historische Augenblicke.

Die Fahrt quer durch Libyen – von Tunesien nach Tripolis – verlief ohne Probleme. Selbst die Soldaten an der Grenze zu Tunesien haben sich zurückgezogen. Zivilisten winkten mich einfach durch, als ich den früher so heftig gesicherten Checkpoint an der Grenze passiere. Ein Kilometer Fußmarsch.
Auf der libyschen Seite gibt es keine Grenzposten mehr. Nichts.

Die Grenze hat sich aufgelöst. Einige Taxifahrer hängen herum: „Tripolis? 200 Dollar.“ Wir fahren los. Passieren Ortschaften, in denen die Königsfahne geschwenkt wird. Der Taxifahrer warnt bloß vor Heckenschützen. Gibt Gas.

Im Minutentakt schieben sich Konvois an mir vorbei: Junge Männer auf Pick-up-Trucks. Auf der ­Ladefläche Fliegerabwehrkanonen. Die Jungs in Jeans und Shirt haben Kalaschnikows, Pistolen, Handgranaten: „Wir werden Gaddafi töten“, schreien sie.

Ihr Kommandant ist Hassan. Er trägt Jeans, T-Shirt, ein Funkgerät, seine Truppe besteht aus rund 100 Mann, keiner älter als 25. Hassans Einheit kam aus dem Süden. Dem Gebiet der Tuaregs: „Plötzlich waren die Soldaten verschwunden“, erzählt der Kommandant: „Die meisten zogen einfach ihre Unform aus und gingen nach Hause. Andere haben sich uns angeschlossen.“

Wo Gaddafi sich aufhält, wissen die Soldaten nicht. Doch die Suche hört nicht auf: Sie kontrollieren jeden Wagen, der aus Tripolis kommt. „Keiner weiß, wo sie sind“, sagt Hassan: „Wir werden sie aber finden – alle.“ Was dann passiert? Die jungen Männer zucken mit den Schultern, jagen wieder Gewehrsalven in die Luft.

Blutiger Kampf um jedes Haus in Tripolis

Obwohl die Rebellen das Hauptquartier Gaddafis schon eingenommen haben, geht der blutige Häuserkampf in Tripolis weiter.

Tripolis. Die Truppen des gestürzten Despoten Muammar Gaddafi geben nicht auf. Zwar sind bereits vier Fünftel der libyschen Hauptstadt Tripolis in die Hände der Rebellen gefallen, doch die Anhänger des Diktators trotzen dem Ansturm in mehreren Widerstandsnestern.

Der zähe Häuserkampf ist unübersichtlich und blutig. Heckenschützen feuerten auf vorrückende Rebellen. Gaddafi-Truppen starteten sogar Gegenangriffe, die aber alle schnell zurückgeschlagen wurden.

Auch in der Nähe des internationalen Flughafens in Tripolis und in südwestlichen Vororten lieferten sich Aufständische und Anhänger Gaddafis weiter schwere Gefechte.

Regierungstruppen griffen in der Nacht zudem die Rebellenhochburg Misrata wieder mit Scud-Raketen an, die aus Sirte, der Heimatstadt Gaddafis, abgefeuert wurden. Die Rebellen umzingelten daraufhin die Stadt und forderten die Menschen zur Kapitulation auf. Die Stammesältesten in Sirte gaben jedoch nicht auf. Sie bräuchten noch mehr Zeit, erklärten die Scheichs.

Die Rebellen befürchten nun, dass der in die Enge gedrängte Gaddafi noch Massenvernichtungsmittel einsetzen werde. Obwohl die Aufständischen bereits 95 Prozent des ganzen Landes kontrollieren, besitzt Gaddafi noch radioaktives Material, das sich für sogenannte „schmutzige Bomben“ eignet. Dabei würden durch eine konventionelle Explosion große Gebiete mit giftigem Uran radio­aktiv verseucht werden.

Außerdem hat der Despot noch 9,5 Tonnen hochgiftiges Senfgas in seinen Arsenalen.

Wo steckt Gaddafi? Eine Million Kopfgeld

Die Rebellen bieten jedem Amnestie, der Gaddafi tötet. Doch der bleibt verschwunden.

Keiner weiß, wo Gaddafi steckt, doch der meldete sich am Mittwoch munter via Audiobotschaft und erklärte, er werde bis zum „Märtyrertod oder Sieg“ kämpfen. „Ich gehe unerkannt spazieren, ohne dass die Menschen mich sehen.“ Er habe einen Spaziergang durch die Hauptstadt gemacht und dabei den Eindruck gewonnen, dass die Stadt „nicht in Gefahr“ sei, tönte der Ex-Diktator.

Daraufhin änderten die ­Rebellen die Taktik: Mustafa Abdul Jalil, Chef des Übergangsrates, erklärte, dass die Rebellen ab sofort denjenigen, die Gaddafi gefangen nehmen oder töten, Straffreiheit anbieten. Zusätzlich setzte ein Geschäftsmann aus Bengasi eine Belohnung von einer Million Euro für Gaddafis Kopf aus.

Karl Wendl
 

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