Deutscher Kanzler

Schafft Merz jetzt den Ukraine-Frieden?

Merz: Nutzung russischer Guthaben muss gelingen

Als außenpolitischer Kanzler hat Friedrich Merz seit seinem Amtsantritt im Mai stets bessere Umfragewerte bekommen als für sein innenpolitischen Agieren. In dieser Woche könnte der deutsche Regierungschef nun sein Meisterstück in der Außenpolitik abliefern: Nach den zweitägigen Ukraine-Beratungen im Kanzleramt in Berlin soll am Donnerstag der EU-Gipfel nach dem Willen des Kanzlers die Nutzung der eingefrorenen russischen Staatsvermögen für die Ukraine beschließen.

Würde dies gelingen, hätte Merz ein zentrales Ziel erreicht: Innerhalb einer Woche wären die Europäer wieder sichtbar im Spiel bei den Verhandlungen über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs. Zudem wird eine abschließende Entscheidung über das seit Jahren geplante EU-Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten erwartet.

Aber es gibt bei beiden Themen große Risiken. "Wenn uns das nicht gelingt, dann wird die Handlungsfähigkeit dieser Europäischen Union über Jahre, wenn nicht über längere Zeit als nur kurz massiv beschädigt sein", warnte der Kanzler mit Blick auf eine Nutzung des eingefrorenen russischen Staatsvermögens und legte die Latte damit sehr hoch. In der Regierung spricht man von einer "Schicksalswoche" für Europa.

Was sind die Verhandlungen in Berlin wert?

Geschickte Politik besteht darin, aus Gelegenheiten echte Chancen zu schaffen. Das hat Merz gemacht: Aus dem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum am Montag bastelte die Bundesregierung ein geopolitisches Event. Plötzlich ergab sich die Gelegenheit, dass nicht nur der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Berlin kommt, sondern auch eine Reihe anderer europäischer Staats- und Regierungschefs. Plötzlich reisten auch der US-Ukraine-Unterhändler Steve Witkoff und der ebenfalls in die Verhandlungen involvierte Schwiegersohn von Donald Trump, Jared Kushner, an. Das Kanzleramt wurde - stets mit Anwesenheit des außenpolitischen Beraters Günter Sautter - Schauplatz für zweitägige Abstimmungen zwischen den USA und der Ukraine. Am Sonntag setzte sich Merz zu Beginn neben Selenskyj, um den US-Gesandten auf der anderen Tischseite zu demonstrieren, wo Deutschland steht. Auch die "New York Times" attestiert dem Kanzler jetzt, dass er längst die Führungsrolle in Europa übernommen hat.

Am Montagabend entstand dann das Foto, das speziell für Washington und vor allem Moskau gemacht wurde: Die Europäer umringen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Etwas unbeholfen stehen sogar die US-Unterhändler Witkoff und Kushner dabei. Am Abend veröffentlichten die Europäer dann ihre eigene Version eines Plans für einen Waffenstillstand - unter anderem mit der Zusage, dass es eine europäisch geführte multilaterale Truppe geben sollte, die den Frieden in der Ukraine dauerhaft absichert. Die vom Kanzler beabsichtigte Botschaft: Ohne Europäer, lieber US-Präsident Donald Trump, geht ab jetzt gar nichts. Dass Merz und Selenskyj Trump am Montag überschwänglich lobten, hat vor allem damit zu tun, dessen empfindliches Ego zu streicheln.

Deutsche Soldaten in der Ukraine?

Allerdings: Mit jedem Schritt hin zu einem Waffenstillstand, den sowohl Merz, Selenskyj und Trump nun für immerhin möglich halten, kommen auf den Kanzler neue Probleme hinzu: Bisher hat die deutsche Bundesregierung jede Debatte über den Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine nach einem Waffenstillstand stets mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass es dafür noch zu früh sei. Nun wird es konkreter. Schon sprechen sich die ersten Unionsabgeordneten für eine Beteiligung der Bundeswehr aus. Schon positionieren sich die Rechts- und Linksaußen AfD, Linke und BSW dagegen. Merz weiß: Wird es konkret, könnte es eine neue schwierige Debatte in seiner schwarz-roten Koalition geben, weil die Haltung der SPD-Bundestagsfraktion offen zu sein scheint. Zur Erinnerung: Die Koalition verfügt nur über eine Mehrheit von zwölf Stimmen. Diese Debatte dürfte gerade im Jahr 2026 mit fünf Landtagswahlen schwierig zu führen sein.

Zugriff auf russisches Staatsvermögen

Kernstück der europäischen Bemühungen um eine Stabilisierung der von Russland täglich angegriffenen Ukraine ist aber Merz zufolge, dass die rund 210 Milliarden Euro an eingefrorenem russischem Staatsvermögen in der EU für die Finanzierung des ukrainischen Militärs genutzt werden können. Dazu will er unbedingt einen Beschluss auf dem EU-Gipfel erreichen. Seit Oktober ist der Kanzler die treibende Kraft bei diesen Bemühungen.

Der Grund: Zum einen haben die USA unter Präsident Trump ihre Hilfe für die Ukraine weitgehend gestoppt. Zum anderen haben die meisten großen überschuldeten EU-Staaten keine Möglichkeit, höhere Militärhilfe für die Ukraine aus ihren nationalen Budgets zu stemmen. Die deutsche Regierung hat Sorge, dass Deutschland als der mittlerweile größte Unterstützer der Ukraine ohne diesen Weg sehr viel mehr Geld bereitstellen müsste.

Aber ein Erfolg auf dem EU-Gipfel ist weiter offen: Vor allem Belgien leistet Widerstand. Mit dem rechtlichen Trick, die Entscheidung auf EU-Ebene aus der Einstimmigkeit in die qualifizierte Mehrheit zu überführen, kann Merz zwar die Blockade der moskaunahen Regierungen von Ungarn und der Slowakei verhindern. Aber auch Italien oder Malta gelten als Wackelkandidaten.

Wie angespannt die Nerven sind, zeigt die Tatsache, dass EU-Ratspräsident Antonio Costa bereits gedroht hat, den EU-Gipfel so lange zu verlängern, bis der Beschluss zur Verwendung der Mittel steht.

"Ball nun ins Feld der Russen gespielt"

Im diplomatischen Ringen um die Ukraine darf ein Punkt nicht außer Acht gelassen werden: Die Europäer haben Trump mit seiner Waffenstillstandsforderung bis Thanksgiving auch deshalb ausgebremst, weil sie gar nicht an ein russisches Einlenken glauben - und einen von den USA erzwungenen Diktatfrieden zulasten der Ukraine befürchtet hatten. Diese Gefahr scheint gerade durch die Berliner Beratungen abgewendet, bei denen sich die Amerikaner sichtbar mit Europäern und Ukrainern abstimmten.

"Ein großer Erfolg der Beratungen in Berlin ist, dass der Ball nun ins Feld der Russen gespielt wurde", sagt ein EU-Diplomat deshalb zu den von Merz initiierten Gesprächen. Wenn Moskau wieder nicht auf die Angebote eingeht, dann müsse auch Trump endlich einsehen, dass er die Schuld für ein ausbleibendes Kriegsende nicht mehr bei der Ukraine oder den Europäern abladen kann. Mehr als eine Hoffnung sei dies angesichts der Persönlichkeit des US-Präsidenten aber nicht.

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