Er liebte Partys und Aklkohol, dann wurde er zum Terroristen.
Sein Foto flimmert seit Tagen in jeder Nachrichtensendung über den Bildschirm. Er schlüpfte in der Nacht der Anschläge durch eine Polizeikontrolle und kehrte aus Paris nach Brüssel zurück. Seitdem ist die belgische Hauptstadt im Ausnahmezustand, seit Samstag gilt die höchste Terrorwarnstufe. Doch die Großfahndung nach Salah Abdeslam - dem derzeit meistgesuchten Jihadisten Europas - blieb bis zum Montag erfolglos.
Am Weg nach Deutschland?
Nach unbestätigten belgischen Medienberichten soll der 26-Jährige am späten Sonntagabend in einem BMW Richtung Deutschland unterwegs gewesen sein. Doch haben die Ermittler seit zehn Tagen keine echte heiße Spur. Wo steckt der Franzose, der in Belgien lebte? Was genau war seine Aufgabe in der Terrornacht, in der in Paris 130 Menschen getötet wurden? Und warum kamen ihm die Fahnder nicht vor den Anschlägen auf die Schliche?
Am 13. November um 21.59 Uhr erreicht ein von Abdeslam gemieteter schwarzer Clio den Norden von Paris. Die französische Polizei schließt nicht aus, dass er am Steuer saß und drei Selbstmordattentäter am Stade de France absetzte. Er mietete auch den Wagen, der für den Angriff auf die Konzerthalle Bataclan genutzt wurde. Und mit seiner Bankkarte wurden zwei Zimmer in einem Hotel in Alfortville nahe Paris gemietet, in denen einige der Angreifer gewohnt hatten.
Selbst zur Waffe gegriffen
Einiges deutet darauf hin, dass Abdeslam nicht nur ein Logistiker war, sondern in der Schreckensnacht selbst zur Waffe greifen sollte. Zunächst wurde gemutmaßt, er habe mit seinem 31-jährigen Bruder Brahim Abdeslam mehrere Bars und Restaurants im Herzen von Paris attackiert. Dabei war ein schwarzer Seat genutzt worden. Brahim hatte sich in einem Restaurant in die Luft gesprengt.
Oder sollte Salah einen Anschlag im 18. Arrondissement verüben, der in der Bekennererklärung der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) erwähnt wurde - aber nicht stattfand? Dort wurde der Clio gefunden. Und Salah soll einen Sprengstoffgürtel getragen, aber im letzten Moment einen Rückzieher gemacht haben. So berichtet es die Anwältin eines der beiden Fluchthelfer, die Abdeslam in der Nacht aus Paris anrief, die ihn dann mit einem Auto abholten und mit ihm unbehelligt mindestens eine Passkontrolle passierten. Die Fluchthelfer sitzen in Brüssel in Polizeigewahrsam. Sie geben aber unterschiedliche Orte an, an denen sie den Extremisten angeblich absetzten.
Brüsseler Problemviertel
Versteckt sich Abdeslam noch in Molenbeek, dem Brüsseler Problemviertel, in dem er mit seinem Bruder ein Cafe betrieb und aus dem viele Islamisten stammen? Dann müsste er viele Helfer haben, denn sein Gesicht ist wohl jedem inzwischen aus den Nachrichten bekannt. Braune Augen, blasse Gesichtsfarbe, glatt rasiert, Gel in den Haaren, 1,75 Meter groß. Der Zusatz: "Gefährliche Person." Sein zweiter Bruder Mohamed gibt Interviews am laufenden Band, in denen er Abdeslam aufruft, sich zu stellen. "Wir möchten ihn lieber im Gefängnis sehen als auf dem Friedhof", sagt er in die Kameras.
Wer Salah aus früheren Zeiten kennt, gibt sich überrascht von seiner Radikalisierung. Er sei eitel gewesen, heißt es in seiner Nachbarschaft. Salah und Brahim hätten viel getrunken, viel geraucht, seien in Clubs gegangen und hätten junge Frauen mit nach Hause gebracht, erinnert sich Jamal, einer ihrer früheren Freunde. Spätestens vor fünf Jahren geriet Salah auf die schiefe Bahn, kommt nach einem Überfall ins Gefängnis. In den Überfall soll auch Abdelhamid Abaaoud verwickelt gewesen sein, der mutmaßliche Organisator der Paris-Anschläge, der am Mittwoch bei einem Polizeieingriff nördlich der französischen Hauptstadt getötet wurde.
Theologie der Verheimlichung
Hinter Gittern habe Abaaoud Salah "die Theologie der Verheimlichung gelehrt, um Sicherheitskräften und Geheimdiensten zu entgehen", meint der französische Terrorismusforscher Mathieu Guidere. Dessen ungeachtet waren Salah und Brahim seit Anfang des Jahres als radikalisierte Muslime bekannt. Sie wurden sogar von der belgischen Polizei wegen des Verdachts vernommen, sie wollten sich dem IS in Syrien anschließen. Doch wurden sie auf freien Fuß gesetzt. Die Polizei hatte "keinen Hinweis auf eine mögliche Bedrohung" gefunden.