Chaos in Kiew

Prowestliche Regierung verliert Mehrheit

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Jazenjuk gibt sich kämpferisch, Poroschenko ruft zu Konstruktivität auf.

 In der Ukraine steht die proeuropäische Koalition von Regierungschef Arseni Jazenjuk nach nur 15 Monaten vor dem Aus. Die rechtsliberale Partei Samopomitsch (Selbsthilfe) erklärte am Donnerstag in Kiew ihren Austritt aus dem Bündnis. Fraktionschef Oleg Beresjuk warf der Führung Günstlingswirtschaft und Korruption vor.

Rücktritt ausgeschlossen
Damit hat Jazenjuk keine Mehrheit im Parlament. Der Regierungschef kündigte Gespräche mit der oppositionellen Radikalen Partei über eine Zusammenarbeit an. "Wir werden nicht zulassen, dass das Land in einem Strudel von Instabilität und Chaos versinkt", sagte Jazenjuk.

Der Regierungschef schloss einen zuletzt auch von Präsident Petro Poroschenko geforderten Rücktritt aus. Poroschenko rief die Parteien zu konstruktiven Gesprächen auf. "Die Überwindung der Parlaments-und Regierungskrise fordert schnelles und entschiedenes Handeln, aber diese Krise darf auf keinen Fall der europäischen Integration der Ukraine im Weg stehen", sagte er. Europas zweitgrößter Flächenstaat wird von einem Krieg gegen prorussische Separatisten ausgezehrt.

Neuwahlen
Poroschenko kann das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen, sollte sich innerhalb eines Monats keine neue Regierung finden. Die Koalition für eine "Europäische Ukraine" hatte sich Ende 2014 aus zunächst fünf Parteien gebildet. Ihr gehören nun nur noch Jazenjuks Volksfront und die Präsidentenpartei Petro-Poroschenko-Block an. Zu einer Mehrheit fehlen ihnen mindestens neun Mandate. Erst am Dienstag war ein Misstrauensvotum gegen Jazenjuk knapp gescheitert.

Samopomitsch warb nach dem Austritt für einen Neuanfang. Die Politik des Landes müsse sich von der Macht der Oligarchen lösen, forderte Fraktionschef Beresjuk. Reiche Geschäftsleute üben in der Ukraine großen Einfluss auf viele Abgeordnete aus.

Austritte

Der Schritt von Samopomitsch kam nicht unerwartet. Am Mittwoch hatte bereits die Vaterlands-Partei von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko die Koalition verlassen. Im September war die Radikale Partei aus der Regierung ausgetreten - die nun eine Rückkehr erwägt.

Jazenjuk gab sich kämpferisch. "Lassen Sie uns die Kränkungen vergessen und Verantwortung übernehmen. Es gibt keine andere Variante", appellierte er. Er wolle rasch Gespräche mit der Radikalen Partei und dem Poroschenko-Block über eine neue Allianz führen. "Lassen Sie uns die Emotionen zügeln, die nützen niemandem. Lassen Sie uns eine neue Seite aufschlagen", forderte er. "Wir haben kein Recht, das schreckliche Szenario des Zerfalls des Landes zuzulassen."

Lösung finden
Die Radikale Partei erklärte sich zu Gesprächen bereit. "Wir wollen zum Wohle des Landes eine Lösung finden", sagte Parteichef Oleg Ljaschko. Der Poroschenko-Block und Jazenjuks Volksfront verfügen zusammen über 217 Mandate in der Obersten Rada. Die Radikale Partei hat 21 Abgeordnete. Für eine Mehrheit sind 226 Stimmen nötig.

Die Krise könnte auch die seit Monaten fragile Finanzlage zum Kippen bringen. Bei Neuwahlen befürchten Experten eine weitere Verzögerung der ausstehenden Hilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Friedensplan
Auch die Umsetzung des Minsker Friedensplans für die Ostukraine gerät ins Wanken. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) teilte mit, dass die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kriegsgebiet bis Ende März 2017 verlängert wird. Am Donnerstag starb in der Unruheregion Donbass erneut ein Soldat.

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