Was wir über den Vorfall und seine Auswirkungen wissen
Das von Polen gemeldete Eindringen von 19 russischen Drohnen in seinen Luftraum ist ein Testfall für die NATO - Warschau, Berlin und weitere NATO-Partner gehen von einer absichtlichen Provokation durch Russland aus. Was wir über den Vorfall und seine Auswirkungen wissen:
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Was ist passiert?
Russland griff in der Nacht die Ukraine erneut massiv mit mehr als 450 Drohnen und Raketen an. Nach Angaben des polnischen Regierungschefs Donald Tusk verletzten 19 Drohnen den polnischen Luftraum. Davon wurden nach polnischen Angaben drei abgeschossen, auch mit Unterstützung niederländischer Kampfflugzeuge vom Typ F-35. Auch deutsche Patriot-Luftabwehrsysteme in Polen wurden in Alarmbereitschaft versetzt.
Absicht oder nicht?
Das russische Verteidigungsministerium versicherte, dass "es keine Absicht gab, Ziele auf polnischem Gebiet anzugreifen". Moskau äußerte sich aber nicht dazu, ob der polnische Luftraum absichtlich verletzt wurde. Polens Außenminister Radoslaw Sikorski ging klar von einem absichtlichen Vorgehen der Russen aus - bei 19 Luftraumverletzungen könne dies "nicht unbeabsichtigt" gewesen sein, sagte er.
Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gingen von einem absichtlichen Eindringen aus. Ulrike Franke, Forscherin an der Denkfabrik Europäischer Rat für Auswärtige Beziehungen (ECFR), urteilte ebenfalls: "Dass etwa zwanzig Drohnen sich zufällig auf einem Gebiet befinden, auf dem sie nicht sein sollten, erscheint mir sehr unwahrscheinlich."
Wie reagiert die NATO?
NATO-Generalsekretär Mark Rutte verurteilte das "absolut rücksichtslose" Verhalten Russlands. Dennoch wird der Vorfall "nicht als Beginn von etwas Größerem angesehen", wie ein NATO-Diplomat der Nachrichtenagentur AFP sagte. "Es sollte offenbar entweder die NATO auf die Probe gestellt werden oder es war der Versuch, Ziele in der Ukraine aus einer anderen Richtung zu erreichen."
Pistorius sagte, die NATO werde reagieren - "klar, aber auch sehr besonnen und nicht eskalierend". Ein NATO-Vertreter mutmaßte, die Antwort der NATO könnte darin bestehen, "ein paar Extra-Positionen" nach Polen oder in den Osten zu verlegen.
Was wäre Russlands Motiv?
Sollte es sich um eine vorsätzliche Aktion gehandelt haben, könnte das russische Interesse darin bestehen, Druck auszuüben und die Bündnistreue der NATO zu testen. Marko Mihkelson, Vorsitzender das Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im estnischen Parlament, schrieb im Onlinedienst X: "Indem Russland mit Angriffsdrohnen in den polnischen Luftraum eindringt, testet es nicht nur Polen, sondern auch die Vereinigten Staaten als Hauptabschreckungskraft der NATO."
Ein solcher Test würde gut in die aktuelle diplomatisch-militärische Strategie Moskaus passen: Kremlchef Wladimir Putin versucht, die Verbündeten unmittelbar vor Beginn eines großen, gemeinsamen Militärmanövers von Belarus und Russland ab Freitag nahe der Grenzen zur NATO einzuschüchtern. Vor dem Hintergrund der Diskussionen um Sicherheitsgarantien für die Ukraine könnte der Vorfall auch als ein Test für den Fall gewertet werden, "dass die NATO Stützpunkte im Osten Polens einrichten würde, um eine zukünftige Präsenz in der Ukraine zu unterstützen", erklärte Mick Ryan vom australischen Forschungszentrum Lowy auf X.
NATO-Experte Ulrich Kühn spricht von einer „deutlichen Eskalation des bisher ausschließlich politischen Konflikts mit der NATO“. Der Experte Fachmann äußert gegenüber dem Münchner Merkur einen brisanten Verdacht: „„Anscheinend will Putin testen, wie eine Reaktion des westlichen Bündnisses aussehen könnte. Ein sehr gefährlicher Test.
Ist die NATO ausreichend vorbereitet?
Der Oberbefehlshaber der NATO-Truppen in Europa, US-General Alexus Grynkewich, lobte, die NATO habe "schnell und entschieden" auf die Situation reagiert. Analystin Franke ist jedoch nicht ganz so überzeugt: "Drei oder vier abgeschossene Drohnen von 19 - das ist keine gute Quote. War es deswegen, weil sie keine Gefahr darstellten, oder konnten nur diese abgeschossen werden?"
Der Abschuss kostengünstiger Drohnen mit Munition, die von enorm teuren Kampfflugzeugen abgefeuert wird, wäre zudem langfristig nicht tragbar. Der frühere Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, Ben Hodges, schrieb auf X: "Der Einsatz von F-35 und F-22 gegen Drohnen zeigt, dass wir noch nicht bereit sind."
Die von Deutschland angeführte Initiative eines europäischen Schutzschilds zur Raketenabwehr hält der Forscher Fabian Hoffmann zudem für wenig aussichtsreich. "Russland produziert ungefähr eineinhalb bis zweimal so viele ballistische und Marschflugkörper wie Europa Abfangjäger produziert, und übertrifft Europa bei der Produktion von Langstreckendrohnen bei weitem", gibt er zu Bedenken.
Und Sicherheitsexperte Nico Lange schrieb auf X: "Alle NATO Partner sollten nach dieser Nacht, in der die Luftverteidigung schon mit wenigen russischen Drohnen über Polen Probleme hatte, noch einmal darüber nachdenken, der Ukraine die Instrumente zu geben, um die russischen Drohnenfabriken zu zerstören."