Ukraine-Krieg

Russische Truppen machen Druck auf Ukrainer nahe Donezk

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Russische Truppen versuchen nach Kiewer Angaben mit vielen Angriffen, ukrainische Einheiten aus deren Stellungen um die Großstadt Donezk zu verdrängen.

Entlang der gesamten Front habe es am Dienstag 57 Gefechte gegeben, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht am Abend mit. Allein 18 Angriffe habe die Ukraine bei den Orten Marjinka und Nowomychajliwka westlich von Donezk abgewehrt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj stellt die gehäuften russischen Angriffe im ostukrainischen Gebiet Donezk in einen Zusammenhang mit der kommenden Präsidentenwahl in Russland 2024. Kremlchef Wladimir Putin verfolge zynisch ein politisches Ziel, sagte Selenskyj am Dienstagabend. "Er ist bereit, unbegrenzt viele seiner Leute zu töten, um in der ersten Dezemberhälfte wenigstens einen taktischen Erfolg vorweisen zu können. Nämlich dann, wenn er seine Wahlen ankündigen will", erklärte Selenskyj in seiner Videoansprache in Kiew.

Kämpfe um Frontstadt Awdijiwka

In den Kämpfen um die ukrainische Frontstadt Awdijiwka bei Donezk verliere Russland noch schneller Soldaten und Technik als bei der monatelangen Schlacht um Bachmut im vergangenen Winter. "Diesem Druck standzuhalten ist äußerst schwer", sagte Selenskyj und dankte seinen Soldaten. Je mehr russische Kräfte bei Awdijiwka vernichtet würden, desto schwieriger werde die Lage für den Feind.

In Russland finden im kommenden März Präsidentenwahlen statt, die vom Kreml bereits vorbereitet werden. Putin hat seine erneute Kandidatur noch nicht offiziell erklärt. Die russische Armee greift seit Wochen verstärkt ukrainische Stellungen an, die dicht an der Großstadt Donezk liegen. Es gibt schwere Gefechte bei Awdijiwka und Marjinka. Die Ukraine wehrt seit fast 21 Monaten eine großangelegte russische Invasion ab.

Weitere 15 Sturmangriffe abgewehrt

Weitere 15 Sturmangriffe seien um die Stadt Awdijiwka im Norden von Donezk abgewehrt worden, hieß es am Dienstag weietrs. Die Militärangaben waren nicht unmittelbar unabhängig zu überprüfen.

Donezk, mit knapp einer Million Einwohner Zentrum des ostukrainischen Kohle- und Stahlreviers Donbass, ist seit 2014 in der Hand russisch gesteuerter Kräfte. Die Front verlief seitdem dicht an der Stadt, die ukrainische Armee unterhält dort stark befestigte Stellungen. Deshalb veränderte sich die Frontlinie auch nach Beginn der groß angelegten russischen Invasion 2022 kaum.

In den vergangenen Wochen hat die russische Armee ihre Angriffe im Raum Donezk verstärkt. Selbst wenn die Verluste an Soldaten und Fahrzeugen hoch sind, setzt doch die schiere Zahl der Angreifer die ukrainischen Verteidiger unter Druck. Die vollständige Eroberung des Gebiets Donezk, das Russland zu seinem Staatsgebiet erklärt hat, ist ein Moskauer Kriegsziel.

"Zunahme der feindlichen Angriffe"

"Die Armee meldete eine Zunahme der feindlichen Angriffe", erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag im Onlinedienst Telegram. Der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, hofft indes auf einen Wendepunkt im Abwehrkampf seines Landes gegen Russland: "Das nächste Jahr wird für uns entscheidend." Die jüngsten russischen Angriffe würden auch Gebiete um Kupjansk und Donezk betreffen, so Selenskyj. Die ukrainischen Soldaten hielten aber "ihre Stellungen" und führten selbst "Offensiven", hob der ukrainische Präsident hervor.

Selenskyjs Bürochef äußerte unterdessen bei einem USA-Besuch die Hoffnung auf einen Wendepunkt im Abwehrkampf seines Landes gegen Russlands Invasion. "Das nächste Jahr wird für uns entscheidend", sagte Jermak einer Mitteilung vom Dienstag zufolge in einer Rede im Hudson Institute in Washington. Die Luftüberlegenheit Russlands müsse gebrochen werden. Dafür benötige Kiew mehr Flugabwehr von den Verbündeten.

"Dieser Winter wird für uns auch sehr schwer" 

"Ich sage Ihnen die Wahrheit: Dieser Winter wird für uns auch sehr schwer", sagte er mit Blick auf russische Luftangriffe auf das ukrainische Energienetz im vergangenen Winter. Kiew hatte mehrfach Befürchtungen geäußert, dass neue Angriffe Moskaus vor allem auf Umspannwerke auch in dieser Wintersaison längere Stromausfälle verursachen könnten.

Der erhoffte Schutzschirm durch eine dichtere Flugabwehr solle auch dazu dienen, den Betrieb eines der ukrainischen Flughäfen wieder zu eröffnen, sagte Jermak. Seit dem russischen Einmarsch vor beinahe 21 Monaten ist der ukrainische Luftraum für den zivilen Luftverkehr gesperrt. Der Flughafen in Lwiw (früher Lemberg) im Westen der Ukraine liegt dabei nur etwas mehr als 50 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt.

Jermak schließt Kompromissfrieden aus

In seiner Rede schloss Jermak erneut einen Kompromissfrieden aus. "In unserem Falle wäre das Kriegsende über einen Kompromiss nichts anderes als eine Pause", warnte er. Kiew werde nicht noch einmal den Fehler von Minsk wiederholen, sagte Jermak unter Verweis auf den nicht umgesetzten Friedensplan von 2014 und 2015. Dieser war mit deutsch-französischer Vermittlung in der belarussischen Hauptstadt Minsk vereinbart worden. Die Ukraine befürchtet, dass Russland eine Waffenruhe zum Wiederaufrüsten nutzen könnte.

Voraussetzung für einen "gerechten" Frieden wäre der vollständige Abzug russischer Truppen von ukrainischem Staatsgebiet, wie Jermak betonte. Moskaus Armee kontrolliert trotz erfolgreicher ukrainischer Gegenschläge einschließlich der bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim weiterhin beinahe ein Fünftel des Nachbarlandes.

Nach Angaben russischer und ukrainischer Militär-Blogger und anderer Experten, die offen zugängliches Geheimdienstmaterial ausgewertet haben, hält die ukrainische Armee seit Ende Oktober Stellungen am russisch besetzten Ufer des Flusses Dnipro. Dies gilt demnach insbesondere für das Dorf Krynky in der südukrainischen Region Cherson. Die Angaben wurden bisher weder von offiziellen Stellen in Kiew oder Moskau bestätigt.

Angriffe auf Cherson

Die Stadt Cherson hatte am Wochenende den ersten Jahrestag der Beendigung ihrer russischen Besatzung gefeiert. Selenskyj warf Russland am Dienstag vor, "an der freien Stadt Cherson Rache zu üben" - und das "ohne jeglichen militärischen Grund". Am Montag waren nach Angaben örtlicher Behörden bei russischen Angriffen auf Cherson drei Menschen getötet und zwölf weitere verletzt worden, darunter ein zwei Monate altes Baby.

Russland wehrte unterdessen laut eigenen Angaben in der Nacht auf Dienstag mehrere ukrainische Drohnenangriffe über eigenem Staatsgebiet ab. Insgesamt seien vier unbemannte Flugkörper über den Gebieten Brjansk, Tambow und Orjol sowie im Moskauer Umland abgeschossen worden, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Unabhängig überprüfen ließ sich das nicht.

Der Telegram-Kanal Baza schrieb, eine mit Sprengstoff beladene Drohne in Brjansk sei auf das Gelände einer Chemiefabrik gestürzt. Verletzt worden sei jedoch niemand.

Russland führt seit mehr als 20 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine. Bei ihrem Abwehrkampf gegen die russische Invasion beschießt die Ukraine auch immer wieder russisches Staatsgebiet - sowohl in der Grenzregion als auch im Hinterland. Opferzahlen und Schäden stehen dabei allerdings in keinem Verhältnis zu den schweren Kriegsfolgen in der Ukraine.

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