"Stern"-Bericht

Scharfe Kritik an Steinmeier

Vier Jahre lang war ein unschuldiger Bremer Türke in Guantánamo interniert, weil Deutschlands jetziger Außenminister eine Einreisesperre verhängte.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) war nach einem Bericht des "Stern" während seiner Amtszeit als Chef des Bundeskanzleramts massiv in den Fall des Bremer Türken Murat Kurnaz verwickelt. In seiner damaligen Funktion sei Steinmeier 2002 entscheidend am Beschluss der deutschen Behörden beteiligt gewesen, Kurnaz im US-Gefangenenlager Guantánamo interniert zu lassen, obwohl die USA seine Freilassung angeboten hatten, berichtete das Magazin am Mittwoch. Die oppositionelle FDP verlangte dazu eine Stellungnahme der deutschen Regierung. Die Mutter von Kurnaz dankte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für deren Einsatz zur Freilassung ihres Sohnes.

Einreisesperre verhängt
Nach dem Bericht des "Stern" berieten die Präsidenten der deutschen Sicherheitsbehörden sowie ausgewählte Staatssekretäre am 29. Oktober 2002 im Berliner Bundeskanzleramt über das US-Angebot, Kurnaz freizulassen. Leiter der Runde sei Steinmeier gewesen. Obwohl Experten von Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz sowie US-Vernehmer Kurnaz für unschuldig hielten, habe die Runde auf Empfehlung von August Hanning, damals BND-Chef und heute Staatssekretär im Innenministerium, entschieden, eine Einreissperre gegen den Bremer zu verhängen. Die Amerikaner reagierten demnach verärgert: Kurnaz blieb weitere vier Jahre bis zu seiner Freilassung am 24. August 2006 in Guantanamo.

Auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sowie Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) seien politisch mitverantwortlich, hieß es im "Stern" weiter. Im Auswärtigen Amt sei im Jänner 2002 geplant worden, einen Konsularbeamten gemeinsam mit einem BND-Mitarbeiter zwei Tage zur Befragung von Kurnaz nach Guantanamo zu schicken. Details habe Fischers Staatssekretär Gunter Pleuger damals mit Hanning verabredet. "Vorgang liege bei BM Fischer"; Entscheidung stehe noch aus", hieß es dem "Stern" zufolge in einem Vermerk aus dem Kanzleramt. Nur Tage später habe Fischer an Kurnaz' Eltern in Bremen geschrieben, die damals nicht wussten, wo ihr Sohn war: "Sobald wir Näheres über das Schicksal Ihres Sohnes erfahren, werden wir Sie umgehend unterrichten." Letztlich reiste dann kein deutscher Diplomat nach Guantanamo.

Schröder schwieg
Der damalige Bundeskanzler Schröder vermied es laut "Stern" bei mehreren Treffen mit US-Präsident George W. Bush, den Fall Kurnaz anzusprechen. Schröder bestritt kürzlich in einem Fernseh-Interview, als Regierungschef mit dem Thema befasst gewesen zu sein. Doch vor einer Reise Schröders nach Washington empfahl das Kanzleramt nach einem Aktenvermerk, der dem "Stern" nach eigenen Angaben vorliegt: Den Fall Kurnaz "nicht aktiv ansprechen".

Steinmeier und Fischer werden am Donnerstag erstmals im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss befragt. Der FDP-Obmann in dem Ausschuss, Max Stadler, erklärte in Berlin, wenn der "Stern"-Bericht so zutreffe, sei Steinmeier mitverantwortlich dafür, dass Kurnaz, obwohl er unschuldig war, nicht bereits 2002 freigelassen wurde. "Murat Kurnaz war sodann vier weitere Jahre im Foltergefängnis Guantanamo inhaftiert, dessen unverzügliche Schließung der Deutsche Bundestag wiederholt gefordert hat", erklärte Stadler dazu weiter. "Es stellt sich die Frage, ob die Regierung dazu beigetragen hat, Unschuldige der Haft, Folter und Erniedrigung auszusetzen", erklärte dazu die Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation amnesty international in Deutschland, Barbara Lochbihler.

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