Schweiz

Bundespräsidentin Calmy-Rey tritt zurück

Teilen

Die Genfer Sozialdemokratin war auch Schweizer Außenministerin.

Die Schweizer Bundespräsidentin und Außenministerin Micheline Calmy-Rey (SP) wird mit Jahresende aus ihren Regierungsfunktionen ausscheiden. Nationalratspräsident Jean-René Germanier bestätigte am Mittwoch den Eingang ihres Rücktrittsschreibens. Die Genfer Sozialdemokratin war neun Jahre Mitglied der siebenköpfigen Kollegialregierung (Bundesrat), nach dem Ablauf ihres zweiten Amtsjahres als Staatsoberhaupt wird sich die 66-Jährige nun nicht mehr zur Wiederwahl stellen.

c710beae-5455-456f-a737-213be07c24bf
 

Wahl des Nachfolgers am 14. Dezember
Die Wahl eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin findet am 14. Dezember in der Vereinigten Bundesversammlung (Nationalrat und Ständerat) statt. Als mögliche Nachfolger werden unter anderen ihre Westschweizer Parteikollegen Pierre-Yves Maillard und Alain Berset gehandelt. SP-Parteipräsident Christian Levrat hatte ursprünglich nicht ausgeschlossen, dass Calmy-Rey weitermacht.

Ringen um zweiten SP-Bundesratssitz
Der zweite der beiden SP-Bundesratssitze (derzeit Justizministerin Simonetta Sommaruga) ist in Gefahr, weil die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) ihren (durch die Abwahl ihres "Zugpferdes" Christoph Blocher verlorenen) zweiten Sitz zurückhaben will und schon mehrfach gedroht hat, die SP aus der Regierung zu werfen. Dass die SP der SVP helfen könnte, den von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf gehaltenen Bundesratssitz der von SVP-Dissidenten gegründeten Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) zu erobern, um damit ihren eigenen zweiten Sitz zu retten, hat Levrat bisher nicht ausgeschlossen.

Initiative für Volkswahl des Bundesrates
Nach der spektakulären Abwahl Christoph Blochers in der Bundesversammlung im Dezember 2007 hatte die SVP als stimmen-und mandatsstärkste Partei die Volkswahl des Bundesrates propagiert und inzwischen ein diesbezügliches Volksbegehren lanciert. In der Vergangenheit ist es wiederholt vorgekommen, dass offizielle Parteikandidaten in der Bundesversammlung durchfielen. Die SVP verstieß Blochers gewählte Nachfolgerin Widmer-Schlumpf aus ihren Reihen.

Offensive Außenministerin
Calmy-Rey stand während ihrer gesamten Bundesratszeit dem Außenministerium vor. Unter den Schlagworten "aktive Neutralität" und "offene Diplomatie" versuchte sie, der Schweizer Diplomatie mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Mit ihrer unkonventionellen Art eckte Calmy-Rey unter bürgerlichen Politikern immer wieder an. In der Bevölkerung war sie jedoch lange beliebt. Erst nach der Libyen-Affäre sanken ihre Umfragewerte.

Ihre politische Karriere begonnen hatte die im Wallis geborene Calmy-Rey im Genfer Großen Rat. 1997 wurde sie in die Genfer Regierung gewählt, am 4. Dezember 2002 erfolgte die Wahl in den Bundesrat. Calmy-Rey ist verheiratet, Mutter zweier Kinder und dreifache Großmutter. Am 8. Juli dieses Jahres feierte sie ihren 66. Geburtstag.

Micheline Calmy-Rey im Porträt - Seite 2 >>>

Calmy-Rey: Nonkonform, resolut - und beliebt

Mit der Sozialdemokratin Micheline Calmy-Rey verlässt eine markante und eigensinnige Persönlichkeit die Landesregierung. In die Geschichtsbücher eingehen dürfte sie als Außenministerin der unkonventionellen Art. Bevor Calmy-Rey ihr Amt antrat, standen Schweizer Außenminister selten im Rampenlicht. Neutralität bedeutete Zurückhaltung, Diplomatie war etwas Diskretes. Dies änderte sich mit Calmy-Rey schlagartig.

Temperamentvolle Genferin
Die temperamentvolle Genferin wagte eine Neuinterpretation alter Konzepte, sprach von "aktiver Neutralität" und "offener Diplomatie". Was es damit auf sich hatte, zeigte sich schon kurz nach ihrem Amtsantritt im Jänner 2003. Sie fahre nur zum Weltwirtschaftsforum nach Davos, wenn sie ihrem US-Amtskollegen die Haltung der Schweiz im Irak-Konflikt darlegen könne, ließ Calmy-Rey selbstbewusst verlauten - und erntete dafür Beifall, aber auch Murren.

Konsequent oder stur?
Fortan überraschte die Außenministerin regelmäßig mit nicht ganz konformen Äußerungen und spontanen Ideen. Letztere entpuppten sich zuweilen als untauglich. So erstellte die Schweiz trotz Ankündigung nie eine Liste der zivilen Opfer im Irak-Krieg. An anderen Ankündigungen allerdings hielt sie fest: In ihrem ersten Präsidialjahr 2007 beharrte Calmy-Rey trotz Absage der offiziellen Feier zum 1. August auf einem Rütli-Auftritt. Sie mochte sich weder von Rechtsextremen noch von Sicherheitsbeamten abhalten lassen. Um Erlaubnis bat sie nicht, und es interessierte sie auch nicht, wie sie auf die symbolträchtige Wiese gelangen würde: Calmy-Rey wollte eine Rede halten, also tat sie es. Sympathisantinnen erschien solches Agieren konsequent, Kritiker taxierten es als stur.

Vorwürfe wegen angeblicher Selbstinszenierung
Es waren vor allem die symbolischen Gesten, mit denen Calmy-Rey polarisierte, ob sie nun in roten Schuhen die innerkoreanische Grenze überschritt oder anlässlich eines Iran-Besuchs mit Kopftuch posierte. Derartige Auftritte brachten ihr den Vorwurf ein, die eigene Person in den Mittelpunkt zu stellen.

Offensive Außenpolitikerin
Calmy-Rey selbst sah die mediale Aufmerksamkeit als Mittel zum Zweck, war es doch ihr erklärtes Ziel, der Schweizer Diplomatie mehr Gehör zu verschaffen. Mitunter gelang ihr dies auch: Als Armenien und die Türkei ein Abkommen zur Normalisierung ihrer Beziehungen unterzeichneten, wurde die Schweiz für ihre Vermittlerrolle international mit Lob bedacht. Negative Reaktionen riefen zuweilen Calmy-Reys Stellungnahmen zum internationalen Geschehen hervor. Dann etwa, als die Außenministerin sich dezidiert für die Unabhängigkeit des Kosovo aussprach.

Humanitäre Tradition der Schweiz im Mittelpunkt
Mit Elan setzte sich Calmy-Rey für die humanitäre Tradition der Schweiz ein. Die Außenministerin scheute sich indes nie, edles Engagement mit Interessenspolitik zu verknüpfen: Die guten Dienste könnten der Schweiz Türen öffnen, erklärte sie. Auch in den Beziehungen zu Europa suchte Calmy-Rey den pragmatischen Weg. Das Stimmvolk quittierte dies mit einem Ja zum Schengen-Beitritt, zum freien Personenverkehr und zur Kohäsionsmilliarde.

Konfrontation mit Rechtspartei SVP
Die isolationistische SVP fand in der weltoffenen Genferin ein geeignetes Feindbild: Calmy-Rey hinterfragte, was der SVP heilig war, plädierte für internationale Zusammenarbeit, kämpfte gegen außenpolitische Reduitmentalität. Die Schweiz könne sich nicht hinter den Bergen verstecken, pflegte sie zu sagen.

Libyen-Krise als Feuerprobe

Bestätigt sah sich die Außenministerin spätestens während der Libyen-Krise, die sie auf eine harte Probe stellte. Dass die Schweizer, die in Libyen festgehalten wurden, schließlich ausreisen durften, führte Calmy-Rey nicht zuletzt auf die Hilfe anderer Staaten zurück. Tatsächlich war es ihr gelungen, den Konflikt zu internationalisieren.

Kontroverse um geplante Geiselbefreiung in Libyen
Die Freude über die Freilassung der Geiseln war allerdings von kurzer Dauer. Bald wurde bekannt, dass Calmy-Rey Pläne zur Befreiung der Geiseln geschmiedet hatte, ohne den Bundesrat zu informieren. Die Geschäftsprüfungskommission kam später zum Schluss, dass die Außenministerin damit ihre Kompetenzen überschritten hatte. Die Quittung erhielt Calmy-Rey bei der Wahl für das zweite Präsidialjahr: Die Bundesversammlung wählte sie mit einer historisch tiefen Stimmenzahl zur Bundespräsidentin. Parlamentarier begründeten die Strafaktion mit den "Sololäufen" der Außenministerin.

Calmy-Rey selbst zeigte sich unbeeindruckt: Das habe keinerlei Bedeutung, erklärte sie - und handelte sich abermals Kritik ein. Ihre zweite Amtszeit als Bundespräsidentin stand damit unter ungünstigen Vorzeichen. Die Wogen glätteten sich aber. Im Bundesrat kehrte Ruhe ein, das Gremium trat wieder geeinter auf.

In der Bevölkerung beliebt, im eigenen Departement gefürchtet

Obwohl Calmy-Rey oft aneckte, lag sie in Beliebtheitsumfragen stets weit vorne. Im eigenen Departement hielt sich ihre Beliebtheit in Grenzen: Die EDA-Chefin war dafür bekannt, alles bis ins Detail kontrollieren zu wollen.

Ihre politische Karriere begonnen hatte die im Wallis geborene Calmy-Rey im Genfer Großen Rat. 1997 wurde sie in die Genfer Regierung gewählt, am 4. Dezember 2002 erfolgte die Wahl in den Bundesrat. Calmy-Rey ist verheiratet, Mutter zweier Kinder und dreifache Großmutter. Am 8. Juli dieses Jahres feierte sie ihren 66. Geburtstag.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.