30 Ortschaften zurückerobert

Ablenkungsmanöver: So legte die Ukraine Russland im Osten herein

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Die ukrainischen Streitkräfte haben nach Angaben der Heeresleitung seit Anfang September mehr als 3000 Quadratkilometer russisch besetzten Gebiets zurückerobert – und zwar mit einem Trick.

Der von Moskau bekannt gegebene Truppenrückzug aus dem ostukrainischen Gebiet Charkiw ist in Kiew mit Genugtuung aufgenommen worden. "Besatzer haben in der Ukraine keinen Platz und werden keinen haben", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht auf Sonntag. Selenskyjs Angaben zufolge haben die Ukrainer in den vergangenen zehn Tagen rund 3.000 Quadratkilometer zurückerobert, was mehr als der Hälfte der Fläche Vorarlbergs entspricht.

Ein unerwarteter Erfolg – der auf einen Trick der Ukrainer zurückzuführen ist.

Viel Wirbel um wenig im Süden

Über Wochen lenkte Kiew die Aufmerksamkeit in den Süden: Auf der Krim gab es mehrere Explosionen, Präsident Selenskyj kündigte sogar die Rückeroberung der Halbinsel an. Vor zwei Wochen wurde der Beginn der Gegenoffensive im Gebiet Cherson offiziell verkündet. Mehrere Dörfer wurden auch eingenommen.

Was Russland aber scheinbar nicht mitbekam: Auch im Osten bereitete die Ukraine einen zweiten Gegenangriff vor.

In der nach der Millionenstadt Charkiw benannten Region hatte die ukrainische Armee die russischen Besatzer bis Samstag massiv zurückgedrängt. So wurde mit Kupjansk der wichtigste Eisenbahnknotenpunkt eingenommen, wodurch die Nachschublinien aus Russland nach Südwesten gekappt wurden. Wenig später konnten die Ukrainer auch die strategisch bedeutende Stadt Isjum unter ihre Kontrolle bringen. Von dort aus werden weite Teile des Donbass beherrscht. Isjum war Anfang April von den Besatzern eingenommen und zur Bastion mit tausenden Soldaten ausgebaut worden.

"Große Desinformationsoperation"

Taras Berezovets, Presseoffizier der ukrainischen Spezialkräfte, sagte gegenüber dem britischen Guardian: "Es handelte sich um eine große spezielle Desinformationsoperation." Demnach habe Russland angesichts der Ankündigung einer Gegenoffensive im Süden vermehrt Truppen aus dem Osten in den Süden verlagert.

"In der Zwischenzeit wurden unsere Jungs in Charkiw mit den besten westlichen Waffen ausgestattet, vor allem mit amerikanischen", so Berezovets weiter.

Der russische Widerstand dürfte dementsprechend gering gewesen sein. Offiziell begründete Moskau den Abzug damit, dass Einheiten im angrenzenden Gebiet Donezk verstärkt werden sollen. Viele Experten gehen jedoch davon aus, dass die Russen angesichts des ukrainischen Vorstoßes im Charkiwer Gebiet zuletzt so stark unter Druck geraten sind, dass sie sich zur Flucht entschieden haben.

Selenskyj hofft auf weitere Geländegewinne

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj pries den russischen Rückzug aus der Stadt Isjum gut 120 Kilometer südöstlich von Charkiw als Durchbruch in dem seit sechs Monaten andauernden russischen Angriffskrieg. Dieser Winter könne weitere schnelle Geländegewinne bringen für die Ukraine, vor allem wenn die Streitkräfte weiterhin mit schweren Waffen versorgt würden. Der Fall von Isjum wäre die größte Niederlage für das russische Militär, seit sie aus dem Gebiet um die Hauptstadt Kiew zurückgeschlagen wurden.

"Ich glaube, dieser Winter ist der Wendepunkt, und er kann zur schnellen Befreiung der Ukraine führen", sagte Selenskyj am späten Samstagabend. "Wir sehen, wie sie in einige Richtungen fliehen", sagte der Präsident mit Blick auf die russischen Streitkräfte. "Wenn wir noch ein bisschen stärker mit Waffen wären, würden wir noch schneller vorankommen."

Offiziell hat die ukrainische Regierung die Wiedereinnahme von Isjum bisher nicht verkündet. Aber Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak veröffentlichte auf Twitter ein Foto von ukrainischen Truppen vor der Stadt und fügte ein Trauben-Emoji hinzu, "Isjum" ist das ukrainische Wort für "Trauben".

Rückt Ukraine nun Richtung Donbass vor?

Der Militärexperte Oleh Schdanow sagte von Kiew aus, die Gewinne der Ukraine könnten den Weg ebnen in die Region Luhansk, die von Russland seit Anfang Juni gehalten wird. Luhansk, das zusammen mit der Region Donezk den industriell geprägten Donbass der Ukraine bildet, liegt rund 340 Kilometer südöstlich von Charkiw. Es war von Anfang an das erklärte Ziel Russlands, vor allem dieses Gebiet einzunehmen, das teilweise bereits seit 2014 von prorussischen Separatisten kontrolliert wird. "Wenn Sie sich die Karte anschauen, ist es logisch anzunehmen, dass sich die Offensive sich Richtung Swatowo, Starobelsk, Siewerodonezk und Lyssytschansk entwickelt", sagte Schdanow. "Das sind zwei vielversprechende Richtungen."

"Größter militärischer Erfolg seit Schlacht um Kiew"

Laut US-Experten haben ukrainische Soldaten innerhalb von fünf Tagen mehr Gelände zurückgewonnen als die russischen Truppen insgesamt seit April besetzt haben. "Die Befreiung von Isjum wird der größte militärische Erfolg der Ukraine seit dem Sieg in der Schlacht vor Kiew im März", urteilte das Institute for the Study of the War (ISW) in seiner Lageanalyse am Sonntag. Damit sei der von Russland geplante Vormarsch auf den Donbass von Norden her gescheitert, meinten die Experten.

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