Türkischer Präsident droht mit Veto

Erdogan: Schweden muss für NATO-Beitritt ''Terroristen'' ausliefern

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erwartet von der NATO mit Blick auf die geplante Aufnahme Finnlands und Schwedens mehr Verständnis bezüglich der Sicherheit seines Landes.  

Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs in der Ukraine haben Schweden und Finnland am Mittwoch offiziell die Aufnahme in die NATO beantragt. Die beiden nordischen Länder reichten ihre Mitgliedsanträge gemeinsam im Brüsseler Hauptquartier der westlichen Militärallianz ein. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von einem "historischen Moment". Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan machte eine Zustimmung von einem Zugehen in Sicherheitsfragen abhängig.

NATO-Erweiterung

Die NATO-Erweiterung gehe für die Türkei einher mit dem Respekt, den man ihren Empfindsamkeiten entgegenbringe, sagte Erdogan am Mittwoch bei einer Rede vor seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP in Ankara. Schweden und Finnland wollten weitermachen mit der Unterstützung von "Terrororganisationen", aber gleichzeitig die Zustimmung der Türkei für eine NATO-Mitgliedschaft, bemängelte Erdogan. "Das ist milde ausgedrückt ein Widerspruch."

Schweden warf Erdogan etwa vor, die Auslieferung von 30 "Terroristen" zu verweigern. "Die NATO ist ein Sicherheitsbund, eine Sicherheitsorganisation. Insofern können wir nicht ja dazu sagen, dieses Sicherheitsorgan unsicher zu machen", sagte Erdogan. Als "Terroristen" bezeichnet Erdogan etwa Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die auch in den USA und Europa als Terrororganisation gilt. Die Türkei sieht aber auch die Kurdenmiliz YPG in Syrien als Terrororganisation an - für die USA ist die YPG in Syrien dagegen ein Verbündeter.

Stoltenberg: "Dies ist ein guter Tag"

"Dies ist ein guter Tag zu einem kritischen Zeitpunkt für unsere Sicherheit", sagte Stoltenberg, als er die Beitrittsanträge von den Botschaftern Schwedens und Finnlands entgegennahm. Die beiden Länder seien bereits die "engsten Partner" des Militärbündnisses, betonte er. "Ihre Mitgliedschaft in der NATO würde unsere gemeinsame Sicherheit erhöhen."

"Die USA begrüßen die Entscheidung der finnischen und schwedischen Bevölkerung", schrieb NATO-Botschafterin Julianne Smith im Kurzbotschaftendienst Twitter. Washington habe mit beiden Ländern "enge Bindungen und ein geteiltes Engagement für Demokratie, Frieden und Stabilität".

Die deutsche Bundesregierung beschloss, der Aufnahme beider Länder in das Verteidigungsbündnis zuzustimmen. Damit könnte der deutsche NATO-Botschafter Rüdiger König nach Abschluss des NATO-internen Aufnahmeprozesses die beiden Beitrittsprotokolle unterzeichnen. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits im Voraus eine entsprechende Unterzeichnungsvollmacht erteilt.

Die Regierungschefs der baltischen Staaten versicherten Finnland und Schweden ihre Unterstützung auf dem Weg zur NATO-Mitgliedschaft. "Wir, die Ministerpräsidenten von Estland, Lettland und Litauen, unterstützen und begrüßen ausdrücklich die historischen Entscheidungen Finnlands und Schwedens, die NATO-Mitgliedschaft zu beantragen", hieß es am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung von Kaja Kallas (Estland), Krisjanis Karins (Lettland) und Ingrida Simonyte (Litauen). "Wir werden unser Möglichstes tun, um sicherzustellen, dass dieser Beitrittsprozess schnell und reibungslos verläuft."

Für die beiden nordischen Länder ist die NATO-Beitrittskandidatur nach jahrzehntelanger Bündnisneutralität eine Zäsur. Auch für die NATO beginnt eine neue Phase, denn damit wird sich die Grenze des Bündnisgebiets mit Russland in etwa doppelt so lang. Alleine Finnland hat eine rund 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland.

Einstimmiges Votum nötig

Die NATO hat Finnland und Schweden eine Aufnahme im Schnellverfahren in Aussicht gestellt. Für den Beitritt Finnlands und Schwedens ist ein einstimmiges Votum der Allianz sowie die Ratifizierung der Bündnis-Erweiterung durch die Parlamente der 30 bisherigen Mitgliedstaaten nötig.

In Brüssel wird vermutet, die Türkei wolle vor allem US-Präsident Joe Biden unter Druck setzen, um unter anderem eine schnelle Lieferung von F-16-Kampfjets zu erwirken. Sollten sich die Bedenken Erdogans durch Zugeständnisse schnell ausräumen lassen, könnten die NATO-Länder die förmliche Einladung an Schweden und Finnland bereits vor dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am 29. und 30. Juni in Madrid aussprechen.

Stoltenberg sagte in Anspielung auf die Türkei, dass die Sicherheitsinteressen aller Mitgliedsstaaten berücksichtigt werden müssen. Wie die schwedische Nachrichtenagentur TT unter Berufung auf NATO-Quellen berichtete, sollte noch am Mittwoch ein Treffen der 30 NATO-Botschafter zu den beiden Anträgen stattfinden. Dabei dürfte höchstwahrscheinlich entschieden werden, den Aufnahmeprozess einzuleiten. Sollte alles nach Plan laufen, könnten die Antragsprotokolle innerhalb von zwei Wochen unterzeichnet werden. Schweden und Finnland hätten dann den Status eines "invitee" und könnten ohne Stimmrecht an allen NATO-Treffen teilnehmen.

Russland hatte in den vergangenen Wochen insbesondere mit Blick auf die NATO-Beitrittspläne seines Nachbarn Finnland mit Drohungen reagiert. Kreml-Chef Wladimir Putin sagte am Montag, die NATO-Norderweiterung sei zwar "keine direkte Bedrohung" für Russland. Sein Land werde aber auf eine "Ausweitung der militärischen Infrastruktur" der NATO auf die beiden Länder "zweifellos" reagieren.

Solange Finnland und Schweden den Beitrittsprozess nicht abgeschlossen haben, genießen sie keinen Schutz unter dem Beistandsartikel fünf der NATO. Großbritannien und andere Mitgliedsländer hatten deshalb Sicherheitsgarantien für die nordischen Staaten ausgesprochen. Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat "Unterstützung zum gegenseitigen Schutz" zugesagt.
 

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