ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl berichtete drei Wochen aus dem Kriegsgebiet.
Kiew. Putins Terrorangriff auf die Ukraine stottert. Sein Krieg läuft nicht nach Plan. Trotz enormer Brutalität kommen die Truppen nicht voran. Drei Wochen war ich vor Kiew. Mein Kriegstagebuch.
Dienstag, 8. März: An der Front mit dem Ingenieur
Gestoppt. Seit 24. Februar tobt der Krieg in der Ukraine. Ich besuche einen Gefechtsstand südlich von Makariw. Frontlinie bei Kiew. Dauerbeschuss. Vor zehn Tagen war das bloß ein Unterstand. Jetzt eine Festung. Sechs ukrainische Panzer stehen hinter Sandsäcken, 40 Mann sind im Einsatz. Keine Berufssoldaten. Ärzte, Tierärzte, Techniker, Arbeiter, Studenten. Dmitry, der Kommandant, ist Ingenieur. Er sagt über die russischen Angreifer: „Sie kommen nicht näher. Stecken fest. Ihre Angriffe starten immer nachts. Schwere Artillerie. Sie feuern auf alles. Reiner Terror. Mehr können sie nicht. Ihr Angriff ist vorerst gestoppt.“
Freitag, 11. März: Urlaub in Sölden wurde verschoben
Irrsinn. Es ist bitterkalt, schneit leicht, 32 Kilometer vor Kiew. Ein Checkpoint. Neben der Autobahn Minenfelder. Mit roten Fähnchen gekennzeichnet. Auf Tiefladern moderne Panzer. Auf einem Hügel neben der Autobahn werden Schützengräben ausgehoben. Ich darf nicht filmen. Ein junger Soldat spricht mich an. Er lacht, als er hört, dass ich aus Österreich komme: „Wir wollten mit russischen Freunden nach Sölden. Alles fix gebucht. Skiurlaub. Wie jedes Jahr. Mit dem Feind am Skilift. Wir haben abgesagt. Jetzt schießen wir aufeinander. Ist doch völlig verrückt.“
Montag, 14. März: Geboren im Bombenhagel
Unvorstellbar. Raketenhagel, direkt Einschläge vorm Kinderspital in Schytomyr: „Alle Patientinnen sind jetzt im Keller“, sagt Professor Vitaly Zabolofnov, Chef der Klinik. Seine gynäkologische Abteilung ist ein dunkler Kellergang neben Heizungsrohren und Lüftungsschächten. Hochschwangere Frauen kauern auf dicken Decken, warten, bis die Wehen einsetzen. In einem Kellerabteil Katya (24), neben ihr Artem, ein Bub. Er ist einen Tag alt. Katya kullern Tränen übers Gesicht, sie ist voller Angst, aber auch glücklich: „Ich will ganz fest auf mein Baby aufpassen, doch ich weiß nicht, wie.“ Artems Vater ist an der Front: „Vielleicht wird er Artem bald sehen können.“
Freitag, 19. März: Raketen auf Flughafen
Heftig. Rückfahrt nach Wien (1.340 Kilometer). Letzte Station ist Lemberg. Westlichste Großstadt der Ukraine. Völlig unzerstört. Rund 300.000 Flüchtlinge warten auf die Weiterfahrt. Plötzlich auch hier Einschläge. Sechs Raketen treffen einen Hangar mit Militärjets. Gewaltige Explosionen, keine Verletzten. Der Irrsinn des Krieges ist nahe an die EU-Außengrenze gerückt.