Offensive im Osten

Kiew: Aktuelle Attacken nur "Probeangriffe"

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Die Großoffensive Russland im Osten der Ukraine hat noch nicht begonnen.

In der Nacht auf Donnerstag ist aus der Ukraine erneut Beschuss gemeldet worden. In der Großstadt Charkiw hätten nach Explosionen mindestens zwei Hochhäuser im nordöstlichen Bezirk Saltivka und mehrere geparkte Autos Feuer gefangen, berichtete die ukrainische Internetzeitung "Ukrajinska Prawda". Während Russland offenbar schon 80 Prozent der Region Luhansk kontrolliert, kündigte der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow für Donnerstag die Einnahme Mariupols an.

Offensive noch nicht begonnen

Zuvor hatte der ukrainische Sicherheitsrat mitgeteilt, dass die Großoffensive Russlands noch nicht begonnen habe. Die am Dienstag entlang der gesamten Frontlinie begonnenen Attacken dürften "Probeangriffe" sein, sagte der Generalsekretär des Rates, Olexij Danilow, in einem Radiointerview, wie die Internet-Zeitung "Ukrajinska Prawda" am Mittwochabend berichtete.

 

Wann die sogenannte große Offensive beginne, sei nur eine Frage der Zeit, sagte Danilow weiter. Moskau könne in den nächsten zwei bis vier Wochen immer noch neue Ressourcen und Reserven in großen Mengen aufbauen. Er warnte zudem davor, zu denken, dass die Kämpfe um den Donbass die letzte und entscheidende Schlacht in dem Krieg sein würden. "Ich wäre nicht so optimistisch, es können jede Menge verschiedene Dinge noch vor uns liegen."

Vorzeichen einer größeren Offensive

Kiew erwartet seit mehreren Tagen den Beginn einer Großoffensive russischer Truppen, die sich nach dem Rückzug aus Gebieten rund um die Hauptstadt Kiew und im Nordosten des Landes Anfang April nun in den russischen Grenzregionen zur Ukraine oder im Osten der Ukraine neu aufstellen. Zuvor hatte bereits am Dienstag das US-Verteidigungsministerium erklärt, es sehe die jüngsten russischen Angriffe nur als Vorzeichen einer größeren Offensive Moskaus.

Acht Wochen nach Kriegsbeginn räumte die Ukraine indes den Verlust eines Großteils der östlichen Region Luhansk eingeräumt. Nach dem Abzug der ukrainischen Truppen aus der Kleinstadt Krimenna kontrollierten russische Einheiten nun 80 Prozent des Gebietes Luhansk, teilte Gouverneur Serhij Hajdaj am Mittwochabend auf Telegram mit.

Auch die Städte Rubischne und Popasna in Luhansk seien mittlerweile "teilweise" unter russischer Kontrolle. Um diese gibt es seit Wochen intensive Kämpfe. Der Beschuss habe auch hier zugenommen, schreibt Hajdaj weiter. Zu Beginn des Krieges am 24. Februar hatten die Separatisten der "Volksrepublik" Luhansk rund 30 Prozent der Region unter ihrer Kontrolle.

Mariupol vor dem Fall

Im Ringen um die Hafenstadt Mariupol sagte der tschetschenische Machthaber Kadyrow die komplette Einnahme für Donnerstag voraus. "Noch vor oder nach dem Mittagessen wird Asowstal vollständig unter der Kontrolle der Streitkräfte der Russischen Föderation stehen", sagte er in einer Audiobotschaft mit Blick auf das Stahlwerk Asowstal, der letzten Bastion ukrainischer Einheiten in der weitgehend eroberten Stadt. Am Mittwoch waren Gespräche über eine Evakuierung der verbliebenen Kämpfer erneut gescheitert. Die Ukraine schlug vor, eine hochrangige Delegation nach Mariupol zu schicken, um an Ort und Stelle über die Evakuierung zu sprechen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich indes etwas optimistischer, was seine eindringlichen Bitten um Lieferungen schwerer Waffen durch die Partnerländer betrifft. Er könne mit "vorsichtigem Optimismus" sagen, dass die Partner Kiews "sich unserer Bedürfnisse bewusster geworden sind", sagte er in seiner allabendlichen Videobotschaft in der Nacht zum Donnerstag. Sie verstünden nun, welche Waffen die Ukraine brauche und dass sie diese nicht erst in ein paar Wochen, sondern jetzt brauche - nun, da Russland versuche, seine Angriffe zu verstärken. Die Lage im Süden und Osten des Landes sei "so angespannt wie möglich", sagte er.

Im Kiewer Vorort Borodjanka wurden nach ukrainischen Angaben zwei weitere Massengräber entdeckt. Darin hätten sich insgesamt neun Leichen von Zivilisten, Männer wie Frauen, befunden, teilte Andrij Nebitow von der Polizei der Region Kiew in der Nacht zum Donnerstag auf Facebook mit. Einige von ihnen hätten Folterspuren aufgewiesen, hieß es weiter. Borodjanka gehört zu den am stärksten zerstörten Städten in der Hauptstadtregion. Aus der Stadt wurden Gräueltaten der mittlerweile abgezogenen russischen Einheiten gemeldet. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.

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