Wirtschaftskammer-Präsident: ''Nicht nur auf die Ukraine schielen''
Wien/Kiew (Kyjiw)/Moskau. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer übt angesichts der Sorge um russisches Gas Kritik an der Politik in Wien und Brüssel. Ob die harten Sanktionen gegen Russland nach dem Überfall auf die Ukraine ein Fehler waren, wisse er zwar nicht, "ich weiß nur auch nicht, ob es fertig gedacht war", sagte Mahrer in einem "Kurier"-Interview. Es sei eine politische Entscheidung gewesen, sich an die Seite der Ukraine zu stellen.
Man habe dabei aber verabsäumt, der Bevölkerung zu sagen, wie der Preiszettel dafür aussieht, so Mahrer. "Das ist nicht die alleinige Entscheidung der Russen, sondern Europa hat sich an die Seite der Ukraine gestellt. Das sind politische Entscheidungen von Leuten, die dafür die Verantwortung übernehmen müssen." Es gehe nicht nur um Frieden in der Ukraine, es gehe auch um den sozialen Frieden in Deutschland und Österreich. Mahrer wörtlich: "Wir müssen den Wohlstand und sozialen Frieden wahren und nicht nur auf die Ukraine schielen."
Mahrer verwies darauf, dass die Sanktionen auch indirekte Wirkungen hätten. "Man hätte bedenken müssen, dass es nur eine begrenzte Energie-Infrastruktur gibt, die nach Europa führt", kritisiert der WKÖ-Chef und frühere ÖVP-Wirtschaftsminister. Er wirft der Politik vor, sich nicht um Alternativen zu russischem Gas und um den Bau von Pipelines zu kümmern. "Wenn ich natürlich in der Pendeluhr schlafe und mich nicht rechtzeitig um die Infrastruktur kümmere, mache ich mich schuldig."
Mahrer: Debatte in Deutschland sei ehrlicher
Mahrer sagte, die Debatte in Deutschland sei ehrlicher, Deutschlands Energieminister Robert Habeck (Grüne) spreche offener als seine österreichische Amtskollegin Leonore Gewessler (Grüne), aber, "es ist gut, dass wir unsere Energieministerin dazu gebracht haben, dass es da jetzt mehr Transparenz gibt und Szenarien, wie lang wir in unterschiedlichen Situationen auskommen würden."
Die Wirtschaftskammer steht selbst seit längerem in der Kritik, auch in den Jahren nach der Krim-Annexion ein zu nahes Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin gepflegt zu haben und für die hohe Abhängigkeit bei Gas mitverantwortlich zu sein. Dem trat Mahrer in dem Interview entgegen, man habe sich ab den 1960er-Jahren für das billige Gas statt des teuren Öls entschieden. Darauf basiere Österreichs Wohlstand und "der österreichische Traum vom Einfamilienhaus am Land".