Ukraine-Krise

Feuerpause nicht eingehalten: Russen beschießen Evakuierungsroute

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Russische Streitkräfte haben nach Angaben der ukrainischen Regierung eine Evakuierungsroute für die belagerte Hafenstadt Mariupol unter Beschuss genommen und damit gegen eine vereinbarte Feuerpause verstoßen.

Russland hatte zuvor eine Feuerpause in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine verkündet und die Einrichtung von humanitären Korridoren aus fünf belagerten Großstädten bekanntgegeben. Aus Sicht des Roten Kreuzes ist derzeit keine sichere Flucht aus Mariupol möglich.

Die russischen Kräfte hätten das Feuer um 8.00 Uhr MEZ eingestellt, teilte das Verteidigungsministerium des Aggressorstaates nach Angaben der Agentur Interfax mit. Russland habe zudem Korridore für Zivilisten aus den Städten Kiew, Tschernihiw, Sumy, Charkiw und Mariupol eingerichtet. Das soll sich später zumindest für Mariupol geändert haben.
 

Acht Lastwagen und 30 Busse seien bereit, humanitäre Hilfe nach Mariupol zu liefern und Zivilisten nach Saporischschja in Sicherheit zu bringen, teilt der Sprecher des Außenministeriums, Oleg Nikolenko, auf Twitter zudem mit. Er forderte: "Der Druck auf Russland muss erhöht werden, damit es seine Verpflichtungen einhält."

Vereinbarung sollte bis am Abend gelten

Der mit der russischen Armee vereinbarte Fluchtkorridor von der ostukrainischen Großstadt Sumy ins zentralere Poltawa ist demgegenüber offenbar zustande gekommen. Das ukrainische Außenministerium in Kiew veröffentlichte am Dienstag ein entsprechendes Video beim Kurznachrichtendienst Twitter. Darin war zu sehen, wie Zivilisten mit Gepäck in mit Wasserflaschen gefüllten Kleinbussen saßen. Autos schlossen sich der startenden Kolonne an.

Sumy liegt nur etwa 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Seit Tagen wird die Stadt von russischen Truppen angegriffen. Das zentralukrainische Poltawa liegt etwa 170 Kilometer südlicher und ist bisher von direkten Kämpfen verschont geblieben. Zuvor hatte die ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk angekündigt, dass in Sumy eine Waffenruhe von 9.00 bis 21.00 Uhr Ortszeit (8.00 bis 20.00 Uhr MEZ) gelten werde. In Sicherheit gebracht würden auch Hunderte Studenten aus China und Indien.

Feuerpausen immer wieder gebrochen

Für andere eingeschlossene Städte wie Mariupol oder Wolnowacha in der Ostukraine scheiterten in den vergangenen Tagen mehrere Versuche zur Einrichtung eines derartigen "grünen Korridors". Beide Seiten warfen sich gegenseitig Sabotage vor. Russland hatte das Nachbarland Ukraine am 24. Februar angegriffen. UNO-Angaben zufolge wurden mehr als 400 Zivilisten getötet. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht.

Kurz vor der Ankündigung der Feuerpause waren russischen Luftangriffen auf die nordostukrainische Großstadt Sumy den lokalen Behörden zufolge 21 Menschen getötet, darunter auch Kinder.

Für Hunderttausende Menschen in Mariupol ist die Lage nach Angaben humanitärer Helfer katastrophal. "Die Situation ist apokalyptisch", sagte IKRK-Sprecher Ewan Watson am Dienstag in Genf. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) stehe bereit, den Abzug der Zivilisten zu ermöglichen, die aus der Stadt wollen, sagte Watson. Russland und die Ukraine hätten die Bedingungen dafür aber noch nicht geschaffen. "Wir versuchen verzweifelt, den Dialog zu ermöglichen", sagte Watson. In der Stadt gingen alle Vorräte zur Neige. Das IKRK habe sämtliche Bestände ausgeliefert und versuche, auf allen möglichen Wegen Nachschub ins Land zu bringen.

Menschen sollen an sicheren Ort gebracht werden

Watson betonte, dass das IKRK nicht von "humanitären Korridoren" spricht, sondern von "sicherem Geleit" (safe passage). Dafür sei eine detaillierte Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien nötig, in der praktische Details geklärt seien. Eine Voraussetzung sei, dass die Menschen die Reise freiwillig antreten und dass sie an einen sicheren Ort gebracht werden. Die Frage, ob Russland als sicherer Ort anzusehen sei, wollte Watson nicht beantworten.

Ein technisches Team des UNO-Nothilfebüros (OCHA) ist in Moskau, um Behörden, darunter dem Verteidigungsministerium, bei der Einrichtung sicherer Wege für Zivilisten und humanitäre Konvois in der Ukraine zu helfen. Das Team gebe zudem Standorte von Lagerhäusern für humanitäre Güter bekannt, um versehentliche Angriffe zu vermeiden.

WHO will Krankenhäuser schützen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine einen besseren Schutz für Krankenhäuser. "Es versteht sich von selbst, dass Gesundheitspersonal, Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen niemals zu einem Ziel werden dürfen, auch nicht während Krisen und Konflikten", sagte Europa-Regionaldirektor Hans Kluge am Dienstag in Kopenhagen. Bisher seien 16 Berichte über Attacken auf das Gesundheitswesen bestätigt worden. Weitere würden überprüft, so Kluge: "Die WHO verurteilt diese Angriffe auf das Schärfste."

Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine könnte UNO-Angaben zufolge demnächst die Schwelle von zwei Millionen überschreiten. "Ich denke, dass wir heute oder spätestens morgen die Zwei-Millionen-Marke überschreiten werden. Es hört also nicht auf", sagte der Chef des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR), Filippo Grandi, am Dienstag in Oslo.

Die NATO geht davon aus, dass Angaben über russische Angriffe auf flüchtende Menschen in der Ukraine der Wahrheit entsprechen. "Es gibt sehr glaubwürdige Berichte, dass Zivilisten bei der Evakuierung unter Beschuss geraten", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag bei einer Pressekonferenz mit Lettlands Präsidenten Egils Levits in Riga. "Zivilisten ins Visier zu nehmen, ist ein Kriegsverbrechen, und es ist vollkommen inakzeptabel", ergänzte der Norweger. Man brauche richtige humanitäre Korridore, die uneingeschränkt respektiert würden.

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