Macron kündigt Hilfskonferenz an

Selenskyj will EU-Hilfe für Reparaturen an Energiesystem

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Bei der Wiederherstellung der Energie-Infrastruktur sollte die EU-Kommission eine koordinierende Rolle spielen, regte Selenskyj an.

Kiew (Kyjiw)/Moskau/London. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hofft auf Hilfe der EU bei der Wiederherstellung des durch russische Angriffe schwer angeschlagenen Energienetzes in seinem Land. 40 Prozent des Energiesystems seien zerstört, sagte der Staatschef bei einem Treffen mit der EU-Energiekommissarin Kadri Simson am Dienstag in Kiew. Zuvor hatte der französische Präsident Emmanuel Macron angekündigt, eine Konferenz zur Unterstützung der Ukraine im Winter ausrichten zu wollen.

Bei der Wiederherstellung der Energie-Infrastruktur sollte die EU-Kommission eine koordinierende Rolle spielen, regte Selenskyj an. "Ich bin sicher, dass wir alles wiederherstellen werden", sagte Selenskyj. "Und in einer ruhigeren Zeit, wenn die Lage in unserem Energiesystem wieder stabil ist, werden wir wieder Strom nach Europa exportieren."

Simson sagte der Ukraine einer Mitteilung der EU-Kommission zufolge Hilfe zu: "Russland hat in seinem Krieg gegen die Ukraine den Energiesektor zu einem Kampfschauplatz gemacht. Und an diesem Kampfschauplatz kämpft die EU neben der Ukraine", sagte die estnische Politikerin. Oberste Priorität sei es, Millionen von Familien in der Ukraine vor Kälte und Dunkelheit zu schützen. So solle es eine Kampagne für weitere Unterstützung aus dem Privatsektor geben, sagte Simson. Aus der EU sei schon Energienotausrüstung für mehrere Millionen Euro geliefert worden. "Angesichts der eskalierenden Angriffe Russlands" müsse die Unterstützung jedoch verstärkt werden. Zur Instandsetzung von Laboren am Kernkraftwerk Tschernobyl stelle die EU 13 Millionen Euro bereit.

Neuerlich zahlreiche Energieanlagen zerstört

Russland hatte am Montag neuerlich zahlreiche Energieanlagen im Nachbarland zerstört. Die Ukraine bezeichnet dies als "Energieterror". In vielen Regionen gab es wegen der Schäden an Kraftwerken keinen Strom. Der französische Präsident Macron sagte Kiew am Dienstag Hilfe bei der Reparatur der Wasser- und Energieinfrastruktur zu. Frankreich werde der Ukraine helfen, den Winter zu überstehen und auch die ukrainische Luftabwehr stärken, teilte er nach einem Telefonat mit Selenskyj mit. Er habe zudem mit Selenskyj vereinbart, am 13. Dezember in Paris eine internationale Konferenz für eine Unterstützung der ukrainische Zivilbevölkerung im Winter abzuhalten.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu kündigte indes eine Fortsetzung der Raketenangriffe auf die ukrainische Infrastruktur an. Damit würden "effektiv" Objekte zerstört und das militärische Potenzial der Ukraine reduziert, sagte er am Dienstag bei einer Militärsitzung in Moskau.

Die Angriffe von Montag galten auch als Antwort auf den Drohnen-Beschuss der russischen Schwarzmeerflotte auf ihrem Stützpunkt in Sewastopol auf der Halbinsel Krim am vergangenen Samstag. "Teils ist das so. Aber das ist auch nicht alles, was wir hätten tun können", sagte der russische Präsident Wladimir Putin am Montagabend vor Journalisten auf die Frage, ob die Angriffe eine Vergeltung für den Drohnen-Beschuss der Kriegsschiffe gewesen sei.

Kiew befürchtet Einsatz iranischer Raketen

In der Ukraine wird unterdessen befürchtet, dass Russland bald auch iranische Mittelstreckenraketen im Krieg einsetzten könnte. Dies sei gefährlich, weil die Ukraine keine geeigneten Abwehrwaffen habe, sagte Luftwaffensprecher Jurij Ihnat am Dienstag in Kiew. "Wir haben eine Luftverteidigung, keine Raketenabwehr", sagte er. Es gehe um ballistische Raketen iranischer Bauart mit Reichweiten von 300 bis 700 Kilometern, die den russischen Boden-Boden-Raketen vom Typ Iskander-M ähnelten. Auch die USA äußerten sich am Dienstag besorgt über die mögliche Lieferung von iranischen Boden-Boden-Raketen an Russland.

Wegen des Beschusses hatte Russland auch seinen Ausstieg aus dem von UNO und Türkei vermittelten Getreideexportabkommen verkündet. Zwar konnten am Dienstag drei Getreidefrachter ukrainische Häfen verlassen, doch wurde der Transfer für den morgigen Mittwoch ausgesetzt, wie die UNO bekanntgab. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan telefonierte mit Putin und zeigte sich danach "zuversichtlich" bezüglich einer vollständigen Wiederaufnahme des Abkommens. Putin forderte seinerseits "echte Garantien" der Ukraine, dass sie die Transportkorridore nicht für Angriffe auf russische Kriegsschiffe nutzen werde.

Der ukrainische Präsident Selenskyj ging auf die Forderung Putins nicht ein. In seiner abendlichen Videoansprache forderte er am Dienstag vielmehr einen langfristigen Schutz der Korridore durch das Schwarze Meer für Getreide-Frachter. Die Welt müsse entschlossen auf jeden russischen Versuch reagieren, die Passage zu blockieren. "Es geht um das Leben von mehreren zehn Millionen Menschen", sagte er.

Ukrainischer Angriff erwartet

Die russische Besatzung im ukrainischen Gebiet Cherson verfügte indes auch die Räumung eines Streifens am linken Ufer des Flusses Dnipro. Die Aktion werde in höchstens drei Tagen abgeschlossen sein, sagte Verwaltungschef Wladimir Saldo am Dienstag im russischen Fernsehen. Es gehe um einen 15 Kilometer breiten Streifen. Saldo machte keine Angaben zur Zahl der Zivilisten in dem Gebiet. Die russische Armee hatte zuvor bereits Gebiete am rechten Flussufer geräumt, auf dem sich auch die Gebietshauptstadt Cherson befindet. Dort wird schon seit Monaten ein ukrainischer Angriff erwartet. Die Ukraine sieht in den Evakuierungsaktionen eine Verschleppung seiner Staatsbürger.

Cherson ist von strategischer Bedeutung für die Kontrolle der Halbinsel Krim, die Russland bereits im März 2014 militärisch besetzt und annektiert hat. Dort startete Moskau am Dienstag eine Teilmobilisierung. Diese wurde umgehend von der EU und auch Österreich scharf kritisiert. "Die Einberufungskampagne in den rechtswidrig annektierten Gebieten einschließlich der Zwangsrekrutierung von Krimtartaren stellt eine weitere flagrante Verletzung des Völkerrechts durch #Russland dar", schrieb das österreichische Außenministerium in einem Tweet. Ähnlich hatte sich zuvor auch EU-Außenbeauftragter Josep Borrell geäußert.

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