Fragen & Antworten

Was wollen eigentlich "Reichsbürger"?

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Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart in Deutschland hat am Montag der erste Prozess gegen die mutmaßliche "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen. 

 Das Verfahren ist der erste von drei Mammutprozessen gegen die Gruppe um Prinz Reuß und eines der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die insgesamt 27 Verdächtigen sollen einen gewaltsamen Umsturz der deutschen Regierung geplant haben.

Eine Szene, die Rechtsextreme und Wissenschaftsleugner vereint, von denen die einen das historische Deutsche Reich wieder errichten wollen, die anderen einen neuen Staat schaffen möchten. Was treibt diese Menschen an? Wie gefährlich sind sie?

Was sind "Reichsbürger"?

Sogenannte Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Sie erklären wahrheitswidrig, das historische Deutsche Reich bestehe bis heute fort. "Reichsbürger" negieren heutige demokratische und rechtsstaatliche Strukturen wie Parlament, Gesetze oder Gerichte. Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder wollen sie nicht zahlen. Aber sie bilden auch keine einheitliche Bewegung.

Manche von ihnen sehen sich sogar als Staatsoberhäupter ihres eigenen kleinen Reiches, mit eigenen Ausweisen und Nummernschildern. Für diese nutzt der Verfassungsschutz den Begriff der "Selbstverwalter". Sie reklamieren für sich eine rechtliche und territoriale Autonomie abseits der Bundesrepublik. Es existieren auch Mischformen zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern".

Wie groß ist die Szene der Reichsbürger?

Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) rechnet der gesamten Szene rund 23.000 Anhänger zu - Tendenz steigend. Etwa zehn Prozent von ihnen sieht die Behörde als gewaltorientiert an. Bei rund 1.250 handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Für Aufsehen hatte vor allem die Aufdeckung der Gruppe um Prinz Reuß im Dezember 2022. Im Rahmen einer internationalen Großrazzia wurden damals 25 Verdächtige festgenommen. Je eine Festnahme fand in Österreich und Italien statt.

Wie groß ist das Gewaltpotenzial?

Etwa jeder Zehnte in der Szene gilt als gewaltorientiert. Nach Angaben des Verfassungsschutzes wurden den "Reichsbürgern" im Jahr 2021 insgesamt 1011 extremistische Straftaten zugerechnet - darunter 184 Gewalttaten wie Erpressung und Widerstand. Der frühere deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank sagte im Gespräch mit der "Welt am Sonntag": "Größere Teile dieser Szene sind zu aktiver Gewalt bereit oder äußern ihre Gewaltfantasien gegen staatliche Repräsentanz freier als früher. Das macht diese Personen aus Sicht des Staatsschutzes gefährlich."

Wie viele Waffen kursieren in der Szene?

Nach Ansicht des Verfassungsschutzes macht unter anderem auch der Hang zu Waffen die Szene so gefährlich. Seit Beginn der Beobachtung im Jahr 2016 wurden mehr als 1.000 "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. Demgegenüber standen laut BfV Ende 2021 rund 500 Menschen, die eine Waffe besitzen dürfen.

Warum ist es so schwierig, "Reichsbürgern" die Waffen wegzunehmen?

Die Waffenbehörde muss überzeugend darlegen können, dass dies "zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit oder Kontrolle des Umgangs mit diesen Gegenständen geboten ist". Wenn jemand dem Verfassungsschutz oder der Polizei mit extremistischem Gedankengut oder kruden Theorien aufgefallen ist, reicht das in der Regel noch nicht aus. Vielmehr beginnt in solchen Fällen ein langwieriges Verfahren. Betroffene versuchen in der Regel auch, sich juristisch gegen den Entzug der Waffen zur Wehr zu setzen. Die Zahl der Menschen aus dem "Reichsbürger"-Milieu mit einer waffenrechtlichen Erlaubnis wird auch nie Null erreichen. Es kommen immer neue Waffenbesitzer hinzu, bei denen sich - womöglich erst Jahre nach der Erteilung der Erlaubnis - konkrete Anhaltspunkte für eine gewaltorientierte verfassungsfeindliche Haltung ergeben.

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