Ex-Mitglied der Zeugen Jehovas Philipp F. tötete acht Menschen und verletzte zahlreiche weitere. Dabei machte schon im Jänner ein anonymer Hinweisgeber die Behörden auf ihn aufmerksam.
Der schnelle Einsatz der Polizei hat wohl ein noch schlimmeres Blutvergießen verhindert beim Amoklauf bei einer Gemeindeversammlung der Zeugen Jehovas in Hamburg. Doch der Hass, mit dem der mutmaßliche Täter sieben Menschen und sich selbst tötete, kam nicht aus dem Nichts. Im Jänner habe ein anonymer Hinweisgeber die Waffenbehörde auf die "besondere Wut auf religiöse Anhänger, besonders gegenüber den Zeugen Jehovas" aufmerksam gemacht, so Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.
Außerdem: Wieder ist der mutmaßliche Täter Sportschütze. Nur einen Monat vor dem Hinweis hatte der 35-Jährige die Waffenbesitzkarte erhalten und sich eine halbautomatische Pistole gekauft. Der Tippgeber aus dem Jänner sorgt sich offenbar, befürchtet eine psychische Erkrankung, mit der sich der Mann seinen Angaben zufolge aber nicht behandeln lässt. Und er hält es angesichts des Waffenbesitzes wohl für nötig, die Behörden vor ihm zu warnen - spätestens da ist der Mann auf dem Radar.
Im Internet gab der Attentäter einiges über sich und seine Gedankenwelt preis. Die Webseite des Täters zeigt etwa, dass er sich intensiv mit Gott und Jesus Christus auseinandersetzte.
Die Waffenbehörde hatte den aus Memmingen im Allgäu stammenden Mann zwar schon bei der Erteilung der Waffenbesitzkarte auf seine Zuverlässigkeit überprüft, routinemäßig Erkundigungen in den Akten von Polizei, Verfassungs- und Staatsschutz angestellt. Zweifel an der Zuverlässigkeit des späteren Amokläufers hätten sich da aber nicht ergeben, sagt Meyer.
Beamten suchten Philipp F. zuhause auf
Nach dem Hinweis hätten ihn dann am 7. Februar zwei Beamte der Waffenbehörde in seiner Altonaer Wohnung besucht - unangekündigt. "Er zeigte sich kooperativ, erteilte bereitwillig Auskunft, es war ein offenes Gespräch." Sowohl Waffe als auch der Tresor, in dem sie verwahrt wurde, hätten keinen Anlass zur Beanstandung gegeben, "bis auf eine Kleinigkeit, weil ein Projektil oberhalb des Tresors lag", sagt der Polizeipräsident.
Die gesamten Umstände hätten auch keinerlei Anhaltspunkte für die Beamten ergeben, "die auf eine psychische Erkrankung hätten hindeuten können". Man habe über alltägliche Dinge wie die Wohnungseinrichtung gesprochen "und ist am Ende des Tages rausgegangen und hat ihm wegen des kleinen Verstoßes eine mündliche Verwarnung ausgesprochen". Der 35-Jährige habe sich entschuldigt, "es war ihm auch erkennbar peinlich".
An diesem Punkt verschwand der Mann dann wieder vom Radar der Behörden, bis zu diesem Donnerstag, bis zu der Gewalttat in der Gemeindeversammlung, die Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) einen Tag später als "das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt" bezeichnen wird. Am Tag danach verweisen sowohl der Senator als auch sein Polizeipräsident auf das Waffenrecht, das den Behörden auch die Hände binde. Auch wenn die beiden Beamten aus der Waffenbehörde sich persönlich überzeugt hätten und keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des 35-Jährigen gehabt hätten, "müssen wir uns die rechtlichen Abläufe und auch die Voraussetzungen für weitere Maßnahmen noch einmal kritisch angucken", sagt Meyer. Ein anonymes Schreiben reiche für den Entzug der Besitzerlaubnis nicht aus.
Die Frage der persönlichen Zuverlässigkeit und Eignung in Zusammenhang mit dem Waffenbesitz "beschäftigt uns ja schon eine ganze Weile, gerade auf gesetzgeberischer Ebene", sagt Grote. "Und gerade die Frage: Sind wir gut genug aufgestellt, bei der Überprüfung von Antragstellern auf psychische Erkrankungen, von Auffälligkeiten, Instabilitäten?" Nicht umsonst habe die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, die dies standardmäßig vorsehe. Bei den Beratungen in den Ressorts der Bundesregierung gebe es gegen den Entwurf aber noch Widerstand.
Die ganze Diskussion ist nicht neu: Der Fall erinnert an das Attentat von Hanau, wo ein psychisch kranker Rechtsextremist, der als Sportschütze legal Waffen besaß, 2020 aus rassistischen Motiven neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet hatte. Anschließend erschoss er seine Mutter und tötete dann sich selbst.
Obwohl der spätere Attentäter extremistische Gedanken hegte und Wahnvorstellungen hatte, was auch aus Briefen, die er an offizielle Stellen schrieb, hervorging, war ihm der Waffenbesitz nicht untersagt worden. Der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) warb nach dem Anschlag für eine Reform des Waffenrechts, damit psychisch Kranke keinen Zugang zu Waffen mehr haben. Er konnte sich in diesem Punkt jedoch, auch wegen komplexer Fragen zu Datenschutz und ärztlicher Schweigepflicht, damals nicht durchsetzen.