Beim ORF

Kampusch-Interview in voller Länge

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Das Kampusch-Interview in voller Länge zum Nachlesen.

Die wichtigsten Passagen aus dem Interview

ORF-Thema, Christoph Feurstein: Frau Kampusch, schön, dass sie zu uns gekommen sind. Sie scheinen beim Staatsanwalt ja einige Missverständnisse ausgeräumt zu haben. Wie haben Sie denn die Einvernahme als Zeugin erlebt.
KAMPUSCH: Es was sehr strapaziös, es war sehr anstrengend da es zweimal acht Stunden waren. Einmal in Graz, einmal in Wien und ich bin froh, dass einige Missverständnisse ausgeräumt werden konnten.

Thema: Was sagen Sie denn zu den Ermittlungen prinzipiell? Machen diese für Sie Sinn?
KAMPUSCH: Natürlich machen sie Sinn, da ich auch an der Aufklärung interessiert bin.

Thema: Es wurde immer wieder gesagt, dass in verschiedenen Aussagen von Ihnen wieder Widersprüche aufgetaucht seien. Wie gehen Sie mit diesen Widersprüchen um, die an Sie herangetragen werden?
KAMPUSCH: Für mich sind das keine Widersprüche, sondern Missverständnisse, da jeder die Dinge etwas anders sieht und anders interpretiert, aber ich denke, es konnten alle ausgeräumt werden.

Thema: Es wird gegen Herrn H. als Mitwisser wegen Freiheitsentziehung ermittelt. Kommt Herr H. – der beste Freund von Wolfgang Priklopil – für Sie als Zweittäter infrage?
KAMPUSCH: Diese Frage kann ich Ihnen so nicht beantworten. Das werden die Ergebnisse der Ermittlungen zeigen.

Thema: Sie haben ihn jedenfalls nicht als Mittäter wahrgenommen?
KAMPUSCH: Ich habe ihn nie als Mittäter wahrgenommen. Ich habe ihn ja erst gegen Ende meiner Gefangenschaft kennengelernt, indem ich ihn einmal begrüßte und später dann wiedersah.

Thema: In welchem Zusammenhang war denn das, wie Sie ihn getroffen haben. Weil das wird oft angezweifelt. Es heißt oft, Sie hätten ihn mehrfach getroffen.
KAMPUSCH: Also das war so: Ich habe ihn damals 2006, als der Täter mich langsam in ein normales Leben integrieren wollte, getroffen. Das war eine kurze Begegnung. Es hat einmal zu einem Händereichen, für einen kurzen Handgruß gereicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich habe ihn da zum ersten Mal gesehen.

Thema: Als wen hat ihn Herr Priklopil damals vorgestellt?
KAMPUSCH: Als seinen Nachbarn.

Thema: Die Kommission um Ludwig Adamovich hat angezweifelt, dass Wolfgang Priklopil ein Einzeltäter war.
KAMPUSCH: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob es noch einen Täter gab oder nicht. Meiner Meinung nach wird das nie so richtig aufgeklärt werden können. Ich habe nur Priklopil gesehen.

Thema: Die einzige Zeugin, die es gibt: Das war damals dieses zwölfjährige Mädchen, das immer noch behauptet, es hätte zwei Personen gesehen. Sie sagen: Priklopil war allein. Wie erklären Sie sich diese Differenz?
KAMPUSCH: Keine Ahnung. Ich kann mir das nicht erklären. Am Anfang dachte ich, dass sie sich verschaut hat. Aber wenn sie jetzt beinhart darauf besteht. Ich habe nur einen Täter gesehen und wurde auch nur von einem Täter gekidnappt.

Thema: Im Zuge der Ermittlungen hat es sogar geheißen, Sie hätten bei Herrn H. als Kellnerin gearbeitet.
KAMPUSCH: Das stimmt nun überhaupt nicht, da ich bis zu meiner Flucht eingesperrt und kaserniert war. Mich Priklopil bei jedem Schritt und Tritt bewachte und ich keine Minute ohne ihn war und er keine Minute ohne mich.

Thema: Warum war es Ihnen wichtig, nach Ihrer Flucht Kontakt zu Herrn H. herzustellen?
KAMPUSCH: Ja, ich wollte für mich persönlich wissen, wer das überhaupt ist, wie er denkt, ob er Mittäter sein könnte. Ich wollte ihm in die Augen schauen, um herauszufinden, ob er Mittäter sein könnte.

Thema: War es für Sie auch wichtig, einem Menschen zu begegnen, der Wolfgang Priklopil aus der Außensicht kennt.
KAMPUSCH: Es war natürlich auch sehr spannend zu sehen, wie er das all die Jahre gegenüber anderen dargestellt hat.

Thema: Viele sind ja auch irritiert, dass Sie sich immer wieder im Haus von Wolfgang Priklopil aufhalten. Das Haus gehört nun ja Ihnen. Eine Zeitschrift hat sogar geschrieben, dass Sie dort einziehen wollen.
KAMPUSCH: Das ist natürlich absoluter Humbug. Ich war z. B. einmal in Strasshof einkaufen, weil ich auf der Durchreise war, und da hat eine Frau mich herzlich in Strasshof willkommen geheißen. Ich ziehe dort garantiert nicht ein. Ich musste auch in letzter Zeit öfter dorthin, da z. B. der Wasserzähler ausgewechselt werden musste. Ich bin sehr ungern dort. Ich bin nur dort für administrative Zwecke.

Thema: Was ist das für ein Gefühl, in das Haus zu gehen?
KAMPUSCH: Es ist meistens sehr unangenehm.

Thema: Sie haben ja auch das Auto von Wolfgang Priklopil gekauft oder ausgelöst?
KAMPUSCH: Ausgelöst aus der Verlassenschaft.

Thema: Warum war Ihnen das wichtig?
KAMPUSCH: Das war mir deshalb wichtig, da ich zu Beginn die Befürchtung hatte, dass verrückte, ausländische, reiche Menschen sich das kaufen, weil sie den Priklopil bewundern.

Thema: Von Anfang an halten sich Gerüchte, dass es pornografische Videos geben soll, auf denen Sie und zwei Männer zu sehen sind. Einer der Männer, die das behaupten – und zwar schon seit 2006 – ist der deutsche Grafiker Thomas Vogel. Seine Festplatten sind ja auch im Zuge der Ermittlungen beschlagnahmt worden. Was sagen Sie zu diesen Videos?
KAMPUSCH: Die gibt es nicht.

Thema: Sie haben nie mit zwei Männern im Verlies?
KAMPUSCH: Nein, da war immer nur ein Täter.

Thema: Herr Vogel sagt auch, also derselbe Mann behauptet, Sie hätten sich mit Herrn Priklopil ausgemacht, dass Sie bis zum 18. Lebensjahr bei ihm bleiben und dann würden Sie wieder zurück in die Welt kommen.
KAMPUSCH: Nein, ich habe mir mit mir selber ausgemacht, dass ich von meiner Mutter mit 18 ausziehe. Ich habe mir nie mit dem Priklopil ausgemacht, dass ich bei ihm quasi ausziehe oder weglaufe, wenn ich 18 bin. Das ist eine Fehlinterpretation von Sachen, die ich früher gesagt habe.

Thema: Und Wolfgang Priklopil hat sich dann ja auch umgebracht.
KAMPUSCH: Ja.

Thema: Was ja auch gegen so eine Abmachung spricht.
KAMPUSCH: Ja.

Thema: Ludwig Adamovich hält es für möglich, dass Sie vielleicht mit irgendwelchem für Sie unangenehmen Material erpresst werden. Was sagen Sie dazu?
KAMPUSCH: Ich werde nicht erpresst.

Thema: Ludwig Adamovich hat auch gesagt: Die Zeit der Gefangenschaft wäre womöglich besser gewesen als das, was sie zuvor erlebt haben. Was sagen Sie zu so einer Aussage?
KAMPUSCH: Darüber bin ich natürlich sehr empört. Ich verstehe nicht, wie sich außen stehende Menschen – wer auch immer sie sein mögen – so etwas anmaßen können. Das ist für mich unverständlich.

Thema: Das richtet sich ja auch ein bisschen gegen Ihre Mutter. Es hören ja auch die Vorwürfe nicht auf. In Zeitungen ist auch heute noch zu lesen, sie sei sogar an der Entführung beteiligt gewesen.
KAMPUSCH: Das ist das Zweite, das ich überhaupt nicht verstehen kann. Meine Mutter würde so etwas nie tun. Sie würde niemals ihr Kind verkaufen, entführen lassen oder einsperren. Sie würde so etwas nie zulassen. Und ich finde es total empörend und unglaublich, dass Menschen so etwas behaupten können, obwohl sie sie nicht wirklich kennen.

Thema: Es fiel auch einmal die Aussage, dass Sie sich als Opfer so untypisch verhalten. Was tun Sie mit so einer Aussage?
KAMPUSCH: Also ich bin schon Opfer. Verbrechensopfer. Aber ich darf trotzdem so leben, wie ich möchte und wie ich mir das vorgenommen hatte, bevor ich gekidnappt wurde. Ich werde das auch tun.

Thema: Wolfgang Priklopil ist jetzt seit drei Jahren tot, Ihre Flucht ist erst drei Jahre her – es war Ihnen damals auch wichtig, sich von ihm zu verabschieden, um abschließen zu können. Wie sehen Sie Wolfgang Priklopil und diese achteinhalb Jahre, die Sie da in der Gefangenschaft verbracht haben, heute?
KAMPUSCH: Das war meine Kindheit, meine Jugend, die nie wieder jemand zurückbringen kann. Es war eine sehr schwere, entbehrungsreiche Zeit. Wenn ich sehe, wie viel Potenzial ich noch habe und wie viel Lebenszeit mir noch übrig bleibt, um mein Leben auszukosten und um die Ziele zu verfolgen, die ich zu Beginn verfolgen wollte, dann macht mir das jetzt im Nachhinein nichts mehr. Es ist nur die Erinnerung, die mich manchmal fertigmacht.

Thema: Sie sagen, die Erinnerung macht Sie fertig. Jetzt prasseln aber ständig Eindrücke über Sie herein wegen Verschwörungstheorien, Spekulationen … schaffen Sie es daneben wirklich, ein halbwegs normales Leben zu führen?
KAMPUSCH: Also halbwegs normal?!? Es ist sehr stressig. Ich habe mit zu vielen Menschen zu tun. Das kann sich niemand vorstellen: Verrückte, Verschwörungstheoretiker, ganz normale Menschen. Es ist wirklich alles anstrengend und diese ganzen Ermittlungen in alle Richtungen und die Pressespekulationen und die Anfeindungen der einfachen Leute auf der Straße, das setzt mir sehr zu und ich komme mir vor wie bei einem Spießrutenlauf.

Thema: Was sind diese Anfeindungen?
KAMPUSCH: Das ist so eine innere Wut, weil sie es nicht begreifen können, dass ich kein normales Opfer bin, weil sie nicht verstehen können, dass, wenn die Medien meinen Fall behandeln, dass das nicht ich bin, die da in die Medien drängt, sondern dass ich eigentlich auch da Opfer bin. Und ich hab z. B. in einem Chatroom von jemandem gehört: Mach dich nicht immer so wichtig, dein Gfries hält schon keiner mehr aus. So etwas ist für mich belastend, weil ich gehe ja nicht in die Medien. Wenn dann für Projekte und das möchte ich auch weiter tun und forcieren.

Thema: Soziale Projekte.
KAMPUSCH: Soziale Projekte. Weil ich möchte den Menschen helfen. Ich möchte das, was ich erreiche und bekomme, mit Menschen teilen.

Thema: Viele sagen mir oft: Warum verlässt sie nicht das Land.
KAMPUSCH: Das habe ich mir auch schon öfter überlegt, aber ich bin zu dem Schluss gekommen: Warum sollte ich klein beigeben? Warum sollte ich als Verbrechensopfer und als Mensch, dem man schon so viel im Leben genommen hat, warum soll ich die Flucht ergreifen? Sollen doch bitte die anderen die Flucht ergreifen. Ich nicht. Ich bleibe hier und lebe das Leben, das ich gelebt hätte, wenn mir das alles nicht passiert wäre.

Thema: Abschließende Frage: Wie geht es mit der Schule? Die steht jetzt beim Ende, habe ich gehört.
KAMPUSCH: Ja, das stimmt. Und ich möchte natürlich weiter lernen und mich weiter fortbilden, um viele Dinge kennenzulernen und um viele Möglichkeiten zu haben.

Thema: Frau Kampusch, beim Ermitteln des Staatsanwalts Mühlbacher konnten Sie Zweifel ausräumen, ich hoffe, dass Ihnen das auch jetzt bei unseren ZuseherInnen gelungen ist, damit Sie endlich zur Ruhe kommen können. Vielen Dank, dass Sie bei mir im Studio waren.

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