Sie verschwand vor 27 Jahren. Der Papstattentäter kennt die wahren Hintergründe.
Im Fall um das spurlose Verschwinden der Vatikan-Bürgerin Emanuela Orlandi vor 27 Jahren sorgt der am Montag enthaftete Papst-Attentäter Ali Agca für neuen Wirbel. Agca, der schriftliche Fragen der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" beantwortete, erklärte, die 1983 entführe Orlandi, die damals 15 Jahre alt war, sei noch am Leben.
Mächtige Organisation
"Emanuela Orlandi ist nicht
verschwunden, sie ist entführt worden. Obwohl ich alles weiß, kann ich keine
Namen nennen. Ich kann aber sagen, dass Emanuela Orlandi von einer sehr
mächtigen Organisation entführt worden ist. Ob es sich um die (türkische
rechtsextremistische Terrorgruppe) Grauen Wölfe, um den KGB, oder die Stasi
handelte? Ich werde darüber nichts sagen", betonte Agca.
Emanuela Orlandi sei entführt worden, um seine Freilassung zu verlangen. "Das ist der einzige Grund der Entführung. Seit dem ersten Tag wird Emanuela menschlich behandelt. Es geht ihr gut, doch sie erleidet Einschränkungen bei den externen Kontakten", so Agca. Man dürfe nicht glaube, dass Orlandi tot sei. "Ich hoffe, Emanuela dieses Jahr in den Vatikan zu bringen. Vielleicht am 22. Juni 2010, dem Jahrestag ihrer Entführung", erklärte Agca.
Keine Erkenntnisse
Emanuela Orlandi ist seit Juni 1983 spurlos
verschwunden. In den vergangenen Jahren hatte es teilweise abenteuerliche
Spekulationen über die Hintergründe des Falles gegeben. So wurde vermutet,
dass Orlandi von den "Grauen Wölfen" entführt worden sei, um die Befreiung
des Papst-Attentäters Mehmet Ali Agca zu erreichen, der 1981 festgenommen
worden war. Offiziell liegen keine konkreten Erkenntnisse über das Schicksal
der damals 15-Jährigen vor.
Im vergangenen November hatte die römische Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen einen Mann aufgenommen, der sechs Tage nach der Entführung Orlandis die Familie telefonisch kontaktiert hatte. Der Mann, der angeblich mit seinem Anruf die Ermittlungen irre führen wollte, konnte dank der Ex-Freundin eines römischen Unterwelt-Bosses identifiziert werden. Sein Name wurde von den Ermittlern nicht gekannt gegeben. Er ist der erste Verdächtige in dem rätselhaften Fall.
Gegenleistung vom Heiligen Stuhl
Die Frau, Sabrina Minardi,
behauptet, am 22. Juni 1983 im Auftrag ihres Lebensgefährten, dem inzwischen
erschossenen Boss Enrico De Pedis, Orlandi überredet zu haben, in ihr Auto
einzusteigen. Orlandi sei den Bossen der römischen Verbrecherbande "Banda
della Magliana" übergeben worden. Die Bosse der organisierten Kriminalität
Roms hätten im Dienst mächtiger Persönlichkeiten die Tochter des
Vatikan-Funktionärs entführt, um vom Heiligen Stuhl eine Gegenleistungen zu
erhalten. Minardi behauptet, Orlandi sei tot. Die Leiche des Mädchens sei in
eine Betonmischmaschine in Torvajanica südlich von Rom geworfen worden. Die
Aussagen der Frau werden von den Ermittlern als glaubwürdig bezeichnet.