Die deutschen Koaltionsparteien einigten sich nach stundenlangem Ringen auf einen Kompromiss: Das Fondsmodell soll erst mit 1. Jänner 2009 eingeführt werden. Außerdem solle die Ein-Prozent-Obergrenze für den Zusatzbeitrag beibehalten werden.
Die Spitzen der Großen Koalition in Deutschland haben den wochenlangen Streit über die Gesundheitsreform beigelegt und eine Einigung in den verbliebenen Streitfragen erzielt. In siebenstündigen Verhandlungen vereinbarten sie in der Nacht auf Donnerstag allerdings, das Kernstück der Reform, den Gesundheitsfonds, später als geplant einzuführen.
CSU-Chef Edmund Stoiber stellte die Einigung am frühen Morgen in Berlin wie zuvor schon angekündigt unter den Vorbehalt einer Prüfung der endgültigen Gesetzesformulierung.
Gesundheitsfonds verschoben
In den zentralen Streitpunkten private Krankenversicherung, Zusatzbeiträge und mögliche Belastung einzelner Länder verständigten sich CDU, CSU und SPD nach schwierigen Verhandlungen auf Kompromisse. Die Einführung des geplanten Gesundheitsfonds verschob die Koalition nach Angaben der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf den 1. Jänner 2009. Ursprünglich sollte der Fonds, der die Finanzierung des Gesundheitswesens neu regeln soll, bereits 2008 eingeführt werden.
Koalitions-Kompromiss
Merkel sagte, die Einigung ziele auf eine weit reichende Reform ab, "die Deutschlands Gesundheitswesen umgestalten wird". Die Koalition sei "ein gutes Stück" weitergekommen "in einer komplizierten Materie". Die Regierungschefin räumte jedoch ein, dass es auch jetzt sicher noch Diskussionsbedarf geben werde. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck sagte: "Es ist ein guter Kompromiss." Die Reform starte insgesamt wie geplant am 1. April 2007. Stoiber sprach von einer der größten Systemumstellungen der vergangenen Jahre.
Im Streit um mögliche Zusatzbeiträge setzte sich die SPD mit ihrem Beharren auf die bereits vereinbarte Begrenzung auf ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens durch. Allerdings sollen bis zu acht Euro der Beiträge ohne Einkommensprüfung erhoben werden, sagte Merkel. Damit solle unnötige Bürokratie vermieden werden. Solche Zusatzbeiträge können einzelne Kassen erheben, wenn sie mit dem Beitrags- und Steuergeld aus dem Fonds nicht auskommen.
Finanzausgleich der Kassen
Befürchtungen, einzelne Kassen würden wegen der Ein-Prozent-Klausel nicht genügend Mittel bekommen, sind nach Merkels Darstellung nunmehr unbegründet. Die deutsche Kanzlerin geht davon aus, dass Zusatzbeiträge in weit geringerem Umfang als bisher befürchtet benötigt werden. Dies auch deshalb, weil es einen Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen geben solle, der die Krankheitsrisiken abdeckt. " Ärmere" Kassen sollen vor allem dadurch aus drohenden Finanznöten befreit werden. Die Auswirkungen des Fonds auf die Kassen und der Überforderungsklausel würden mit 1. Jänner 2011 überprüft, sagte Merkel.
Schwierige Finanzierung
Im Konflikt um einen möglichen finanziellen Aderlass von Ländern wie Bayern durch den Gesundheitsfonds habe man eine Übergangsphase vereinbart, sagte Stoiber. Der CSU-Chef befürchtet Belastungen von 1,7 Milliarden Euro für Bayern, wie er bekräftigte. Solche Verluste, die finanzstarke Kassen eines Landes durch den Fonds möglicherweise hinnehmen müssen, würden in Schritten über zehn Jahre verteilt. Dafür sollen Budgetmittel des Bundes "in der Größenordnung von 100 bis 150 Millionen Euro" verwendet werden.
Den Streit um die tatsächliche Größe der finanziellen Auswirkungen soll Stoiber zufolge ein neues Gutachten lösen. Beck betonte, diese " Sicherheitsklausel" komme wahrscheinlich gar nicht zum Tragen. Die höchste Belastung eines Landes durch den Fonds betrage nach offiziellen Statistiken 56 Millionen Euro.
Alle Bürger sollten künftig versichert sein, kündigte Merkel an. Für die private Krankenversicherung sei vereinbart worden, dass bei einem Wechsel keine Altersrückstellungen von Privatkassen in gesetzliche Kassen mitgenommen werden können. Das hatte die SPD vehement gefordert, um Wechselmöglichkeiten zwischen den Systemen zu schaffen. Eingeführt werden solle ein dreistufiger Basistarif. Die SPD habe sich bei der privaten Krankenversicherung einen stärkeren Anteil gemeinsamer Risikovorsorge gewünscht, räumte Beck ein. Alle in der Großen Koalition seien sich aber einig gewesen, dass die Reform jetzt geschafft werden müsse. Die Gespräche seien vom Willen zur Einigung geprägt gewesen.
An den Verhandlungen im deutschen Kanzleramt nahmen neben Merkel und den beiden Parteivorsitzenden auch Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sowie die Fraktionschefs der Regierungsparteien und der Chef der CSU-Landesgruppe teil. Außerdem waren die Gesundheitsexperten der Fraktionen, Wolfgang Zöller (CSU) und Elke Ferner (SPD), dabei.