Hintergrund

So viel Macht hat der türkische Präsident

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Die Türkei hat ein neues Staatsoberhaupt: Im dritten Anlauf wählte das Parlament Abdullah Gül. Lesen Sie hier, wieviel Macht der Präsident hat.

Das türkische Parlament hat Außenminister Abdullah Gül zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Die Türkei ist eine parlamentarische Republik, die vollziehende Macht liegt weitgehend bei der Regierung, welche dem Parlament rechenschaftspflichtig ist. Das Präsidentenamt, dessen erster Träger bis zu seinem Tod 1938 Republik-Gründer Mustafa Kemal Atatürk war, hat große Symbolkraft, wenngleich es keineswegs mit exorbitanten Befugnissen ausgestattet ist. Zu seinen Vollmachten gehört ein suspensives Veto gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz. In einem zweiten Schritt hat er die Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshof anzurufen.

Der türkische Präsident muss das 40. Lebensjahr vollendet haben und über einen Hochschulabschluss verfügen. Er muss im Parlament von mindestens einem Fünftel der Abgeordneten zur Wahl vorgeschlagen werden. Nach seiner Wahl muss er seine Parteimitgliedschaft zurücklegen.

  • SUSPENSIVES VETORECHT: Der Präsident kann ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz ein einziges Mal zur nochmaligen Beratung zurückschicken. Wird der Text jedoch von der Abgeordnetenmehrheit in gleicher Form nochmals beschlossen (Beharrungsbeschluss), muss er es entweder beurkunden und damit in Kraft setzen oder dem Verfassungsgericht vorlegen.
  • REGIERUNGSERNENNUNG: Bei der Ernennung des Ministerpräsidenten hat der Staatspräsident theoretisch freie Hand, doch muss er dabei die Mehrheitsverhältnisse im Parlament im Auge behalten. In der Praxis hat er kaum eine andere Wahl, als den Chef der stärksten Partei mit der Kabinettsbildung zu beauftragen. Der Staatspräsident kann, wenn er es für notwendig hält, Ministerratssitzungen unter seinem Vorsitz einberufen.
  • VOLKSABSTIMMUNGEN: Verfassungsänderungen kann der Präsident einer Volksabstimmung unterwerfen.
  • NEUWAHLEN: Der Präsident kann vorgezogene Neuwahlen ausschreiben lassen, wenn die Regierungsbildung nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen zustandekommt, wenn eine Regierung eine Vertrauensabstimmung verliert oder wenn ein Misstrauensvotum Erfolg hat.
  • ERNENNUNGEN: Der Präsident ernennt den Premier und die Regierung, hohe Richter, die Rektoren der Universitäten, den Generalstaatsanwalt und die Botschafter der Türkei im Ausland.
  • AUSNAHMEZUSTAND: Der Präsident kann die allgemeine Mobilmachung anordnen und den Belagerungs- oder Ausnahmezustand verhängen. Er führt den Vorsitz im Nationalen Sicherheitsrat und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Die zu "Hütern der Verfassung" erklärten türkischen Staatspräsidenten kamen mehrheitlich aus den Reihen der Streitkräfte - zwei von ihnen, General Cemal Gürsel (1960) und General Kenan Evren (1980), durch Staatsstreich. 1973 gelang es der Parlamentsmehrheit den Armee-Kandidaten General Faruk Gürler zu umgehen, indem sie einen anderen ranghohen Militär, Admiral Fahri Korutürk, wählte. Wegen der Symbolkraft des höchsten Amtes war die Kandidatur Abdullah Güls sehr umstritten. Die Kemalisten befürchten, ein Präsident aus den Reihen der regierenden islamischen AKP könnte die strikte Trennung von Staat und Religion aufweichen. Die AKP ist aus der islamistischen Bewegung in der Türkei hervorgegangenen. Ihre Vorgängerparteien waren verboten worden.

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