Ungarn

"Stellungskrieg" zwischen Polizei und Demonstranten

Teilen

Während der Feiern zum 50. Jahrestag der Revolution ist es zu schweren Ausschreitungen mit 130 Verletzten gekommen.

Nach den Ausschreitungen auf den Straßen in der Budapester Innenstadt in der Nacht auf Dienstag am Rande der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Revolution 1956 ist die Räumung der Hauptverkehrsachsen in der Früh beendet worden. Auch die in der Nacht von Randalierern aufgerichteten Barrikaden wurden abgebaut. Die Polizei nahm nach eigenen Angaben 100 Personen fest. Rund 130 Menschen wurden großteils leicht verletzt, darunter 19 Polizisten. 15 schwerer Verletzte wurden in den Krankenhäusern versorgt. Der Gesamtschaden der Zerstörungen wird von Verantwortlichen auf rund 759.100 Euro geschätzt.
Regierungsparteien empört
Die Vertreter der Regierungsparteien gaben sich entsetzt über die Unruhen in der Innenstadt und die Zerstörungen. Die oppositionelle Großpartei Fidesz-Ungarischer Bürgerverband forderte hingegen eine Identifizierung der Verantwortlichen für die "beispiellose Polizeigewalt" gegen " Kinder, Jugendliche, alte Leute". Der Abgeordnete Tamas Deutsch-Für sprach auch von "Provokationen" der Polizei gegen die Demonstranten. Istvan Nyako, Sprecher der regierenden Sozialisten (MSZP), reagierte darauf mit den Worten, Fidesz habe sich damit auf die Seite jener gestellt, die "mit Hacken, Messern und Molotow-Cocktails zum Fest gegangen" waren. Karoly Herenyi, Fraktionschef der konservativen Kleinpartei MDF, nannte die Ausschreitungen "unwürdig" und sagte mit Blick auf die Revolutionäre von 1956: "Die jetzige Generation ist nicht dazu fähig, eine Revolution zu machen, sondern sie ist vielmehr unfähig, in Würde zu feiern."

Die Ausschreitungen hatten am Nachmittag begonnen und hatten sich nach Ende einer friedlichen Großdemonstration der Oppositionspartei Fidesz-Ungarischer Bürgerverband zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Revolution von 1956 auf die Hauptverkehrsachsen der gesamten engeren Innenstadt ausgeweitet. Dabei schlugen die Randalierer Schaufenster ein, kaperten Autobusse und stellten sie quer über die Straße, setzten Mülltonnen in Brand und warfen mit auf Baustellen gefundenen Gegenständen. Bereits am späteren Abend war es der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern gelungen, die Demonstranten von den meisten Schauplätzen wegzutreiben.

Stundenlanger "Stellungskrieg"
Doch am Pester Brückenkopf der Elisabethbrücke entwickelte sich in der Nacht ein stundenlanger "Stellungskrieg". Die Demonstranten errichteten an beiden Enden der Brücke und in Seitengassen Barrikaden aus Baumaterialien, Bänken, Fahnenstangen und Ähnlichem, bewarfen die Polizisten mit Ziegelsteinen und vereinzelt auch mit Molotow-Cocktails, wie ungarische Fernseh- und Radiosender in Dauer-Livesendungen berichteten. Stundenlang rückten immer wieder neue Sicherheitskräfte an. Kurz nach 01.30 Uhr begannen dann die Polizisten den Sturm auf die Barrikaden der Demonstranten. Die von den Randalierern errichteten Sperren wurden mit Schneepflügen weggeräumt.

Die Unruhen erinnerten an ähnliche Ausschreitungen in der Budapester Innenstadt im September. Damals hatten nach Bekanntwerden einer internen Rede der sozialistischen Regierungschef Ferenc Gyurcsany, in der er " Lügen" seiner Regierung zugegeben hatte, Demonstrationen für seinen Rücktritt begonnen. Dabei stürmten Randalierer, darunter viele Fußballhooligans und Rechtsradikale, das Gebäude des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (MTV) und verwüsteten es. Die Polizei vor dem Fernsehgebäude war machtlos. Die Ausschreitungen dauerten damals einige Nächte lang an, Autos brannten, Schaufenster wurden eingeworfen. Die Polizei ging daraufhin rigoros mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Randalierer vor und konnte nach einigen Nächten die Situation zum Abklingen bringen.

Blutiger Oktober 1956
Am 23. Oktober 1956 war aus ursprünglich friedlichen Studentendemonstrationen ein Aufstand gegen das seit 1948/49 herrschende stalinistische Regime geworden. Die Stalin-Statue in Budapest wurde gestürzt, eine Regierung unter dem Reformkommunisten Imre Nagy übernahm das Amt. Nach wenigen Tagen wurde die Revolution von sowjetischen Truppen niedergeschlagen, nachdem der Austritt aus dem Warschauer Pakt und die Neutralität erklärt worden waren. Zehntausende Menschen wurden eingesperrt oder interniert, zahlreiche hingerichtet, darunter auch Premier Nagy. 200.000 Ungarn flohen ins Ausland, 180.000 davon nach Österreich.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.