Sicherheitsexperten vermuten katastrophale Fehler in der Vorbereitung auf die Proteste.
Washington - Chaos und Gewalt im Kapitol, der Herzkammer der Demokratie der USA, sind Sicherheitsexperten zufolge wohl auch durch katastrophale Fehler in der Vorbereitung auf die Proteste von Anhängern des US-Präsidenten Donald Trump möglich geworden. Die Ausschreitungen mit mehreren Toten seien eine der schwersten Sicherheitspannen in der jüngeren Geschichte der USA, sagten aktive und ehemalige Vertreter der Sicherheitskräfte in einer ersten Bilanz der beispiellosen Ereignisse.
Sie reagierten fassungslos auf die Gewalttaten im Zentrum der US-Demokratie. Denn während Großereignisse wie eine Vereidigung eines neuen Präsidenten von den zahlreichen Sicherheitsdiensten der USA minutiös und bis ins letzte Detail vorbereitet würden, habe es für die Sitzung zu den Ergebnissen der Präsidentenwahl von Repräsentantenhaus und Senat kaum Planungen mit Blick auf mögliche Bedrohungen gegeben, beklagten Sicherheitskräfte.
Trump auf Twitter: Letzte Chance, Wahlausgang zu ändern
Und dies sei ungeachtet erkennbarer Warnzeichen geschehen, dass beinharte Anhänger Trumps - angestachelt durch dessen weiter unbewiesene Vorwürfe eines Wahlbetrugs - gewalttätig werden könnten. Trump hatte in zahllosen Tweets die Sitzung des Kongresses als letzte Möglichkeit für seine Anhänger dargestellt, den Wahlausgang zu ändern. In einem Tweet kündigte er sogar an, die Demonstration werde "wild".
Der Kongress soll eigentlich durch die U.S. Capitol Police geschützt werden, einer rund 2.000 Mann starken Polizeitruppe. Diese versuchte zunächst allein, sich gegen die Demonstranten zu stellen, die auf das Gelände drängten. Aus bis Donnerstagmorgen völlig unklaren Gründen griffen andere Sicherheitskräfte des Bundes über Stunden nicht ein, als das Kongressgebäude von Demonstranten belagert wurde. Das Kapitol liegt in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem Trump vor der Sitzung in einer Rede vor Anhängern erneut einen angeblichen Wahl-Betrug beschworen und den Ausgang als "ungeheuerlichen Angriff auf unsere Demokratie" gegeißelt hatte. Er forderte einen "Gang zum Kapitol" - und die Demonstranten folgten dem.
Sicherheitsexperten nicht überrascht
Dass es in der Folge zu Ausschreitungen kam, überrascht Sicherheitsexperten nicht. In den sozialen Medien hatte es über Wochen Drohungen mit und Warnungen vor Gewalt mit Blick auf die Sitzung des Kongresses gegeben. Auf Twitter fänden sich etwa seit Jahresbeginn über 1400 Posts aus dem Umfeld von Anhängern der QAnon-Verschwörungstheorie, die sich auf Trumps Demonstration am 6. Jänner und mögliche Aufrufe zur Gewalt bezögen, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter der US-Sicherheitsbehörden, der nun Extremisten im Internet beobachtet.
Trotz all dieser Vorzeichen habe die Capitol Police andere Sicherheitskräfte oder das Heimatschutzministerium im Voraus nicht um Unterstützung gebeten, sagte ein hochrangiger Beamter. Und nennenswerte Verstärkungen durch die Nationalgarde wurden erst über eine Stunde, nachdem Demonstranten die ersten Barrikaden überwunden hatten, mobilisiert. Im Gegensatz dazu hatte die Trump-Regierung bei den Protesten gegen Polizei-Brutalität im vergangenen Sommer noch dafür gesorgt, dass die Sicherheitskräfte des Bundes massiv ausrückten. Die Capitol Police wollte sich zunächst nicht zu den Vorgängen äußern - ebenso wenig wie das Präsidialamt zur Rolle Trumps bei den Ausschreitungen.
Eigentlich sind die Mitglieder der Kongress-Polizei darauf trainiert, Demonstranten bereits von den Marmor-Treppen des Kapitols fernzuhalten, berichtete Terrance Gainer, einer der ehemaligen Chefs der Truppe. Doch sie wurden überrannt. "Nachdem sie die Treppe verloren hatten, verloren sie auch Türen und Fenster", sagte er. Gruppen von Randalierern bahnten sich den Weg in das Gebäude. Dort konnten sie sich, wie auf Video-Aufnahmen zu sehen ist, frei durch die Flure bewegen und etwa in das Büro der Präsidentin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, eindringen.
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"Wir müssen dringend gründlich aufarbeiten, was falsch gelaufen ist", forderte Gainer. Abgeordnete machten bereits mangelnde Vorbereitungen für das Desaster verantwortlich. "Unter diesen Umständen haben die Beamten vor Ort ihre Arbeit so gut wie möglich erledigt, aber ganz offensichtlich gab es keine ausreichenden Planungen", beklagte etwa Vicente Gonzalez, Demokrat aus Texas. "Das hätte nie passieren dürfen", sagte ein weiterer hoher Sicherheitsbeamter. "Wir haben alle vorher gewusst, wer nach Washington kommen wird." Neil Trugman, ehemaliges Mitglied der Capitol Police, sagte: "Das ist kein Protest mehr. Da ist eine Linie überschritten worden. Das ist Terrorismus."