Für den Wifo-Chef sollten wegen der Finanzkrise die Maastricht-Kriterien ausgesetzt werden. Außerdem will er niedrigere Zinsen.
Wifo-Chef Karl Aiginger plädiert dafür, dass die EU-Staaten die Maastricht-Kriterien vorübergehend außer Kraft setzen, um die zur Eindämmung der Finanzkrise notwendigen Maßnahmen zu finanzieren. "Es ist eine außergewöhnliche Zeit", sagte Aiginger in der ORF-"Pressestunde" am Sonntag. Als Mittel zur Bekämpfung der Krise kann er sich neben einer Ausweitung der Budgetdefizite auch die Teilverstaatlichung von Banken und die Einführung einer weltweiten Finanztransaktionssteuer vorstellen.
Orkan statt Sturm
Er selbst sei vom Ausmaß der Krise überrascht,
gestand der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts ein. Noch vor zehn Tagen
habe man eine "Sturmwarnung" für Österreich gesehen, was man nun
bekommen habe, sei ein "Orkan". Die Finanzkrise habe bereits auf
den Realsektor übergegriffen und viele - selbst unstrittige - Projekte
würden sich nun verzögern. "Es entstehen negative
Wachstumsraten, es wird die Arbeitslosigkeit steigen."
Besser als andere Länder
Dennoch zeigte sich Aiginger
zuversichtlich. "Wir haben aus den vergangenen Krisen gelernt und haben
die Instrumente." Zudem zeige sich immer wieder, dass Österreich besser
dastehe als die anderen Länder. "Ich glaube, dass die größten
Krisen in Form von (Banken)-Zusammenbrüchen vermieden werden."
Notfalls Teilverstaatlichung
Mit der teilweisen Verstaatlichung
von Banken hätte Aiginger kein Problem, er glaube aber, "dass
keine einzige Bank in Österreich ein großes Problem hat und dass das daher
nicht nötig sein wird". "Ich möchte es nur anders nennen: Es
ist eine Kapitalzuführung, für die die öffentliche Hand etwas haben will."
Zinken senken
Er nannte fünf Handlungsebenen, auf denen die
Politik tätig werden sollte. Einerseits eine Senkung der Zinsen, um den
Banken Liquidität zur Verfügung zu stellen: "Beim Zinssatz
kann ich mir noch weitere ein oder zwei Prozentpunkte in Europa vorstellen."
Die zweite Ebene wäre eine stärkere Einlagensicherung auf nationaler und
internationaler Ebene.
Höheres Defizit riskieren
Die dritte Ebene wäre die
europäische Fiskalpolitik. "Das ist jetzt genau die Situation, in
der der Staat ein Defizit machen kann und soll. Es gibt Ausnahmesituationen,
und wenn das keine Ausnahmesituation ist, dann weiß ich nicht, wie eine
Ausnahmesituation aussieht", so Aiginger. Alle EU-Länder sollten ihre
Defizite um ein halbes Prozent ihrer Wirtschaftsleistung erhöhen, plädierte
er. Langfristig brauchen wir ein ausgeglichenes Budget, aber kurzfristig
kann man in außergewöhnlichen Situationen ein Defizit haben",
die EU-Kommission könnte die Maastricht-Kriterien vorübergehend außer Kraft
setzen.
Europäische Steuerreform
Die vierte Ebene betreffe wieder
die nationale Politik, indem "jedes Land ein Konjunkturpaket oder eine
Steuerreform zimmert". Das sollte aber koordiniert erfolgen. "Ich
hätte gerne den Überbau in Europa, damit das Österreich nicht alleine machen
muss." Die fünfte Ebene wäre eine Verbesserung der Regulierung, so
könnten etwa bestimmte Wetten verboten werden, schlägt der Wifo-Chef vor.
Weltweite Finanzsteuer
Aiginger kann sich auch "vorstellen, dass
jetzt der richtige Zeitpunkt ist, über eine weltweite
Finanztransaktionssteuer zu reden". Ungefähr 0,1 Prozent würden genügen, um
Steuereinnahmen von der Hälfte des EU-Budgets zu garantieren, schätzt er.
Eine solche Steuer würde dazu führen, "dass die Transaktionen etwas weniger
werden und dass das Verhältnis zwischen Finanzsektor und Realwirtschaft
wieder etwas zusammengeführt wird".