26. Dezember 2007 12:50
Amerikanische Banken besorgen sich wegen der Kreditkrise Milliardensummen
bei nah- und fernöstlichen Staatsfonds. Knapp vor dem Heiligen Abend teilte
das weltweit führende Maklerunternehmen Merrill Lynch & Co mit, die
Anlagegesellschaft Temasek Holdings PTE Ltd aus Singapur übernähme 4,4 Mrd.
Dollar an Merrills Aktienkapital und erhalte eine Option für den Kauf
weiterer Aktien im Volumen von 600 Milionen Dollar bis Ende nächsten Jahres.
Der Sonderpreis von 48 Dollar je Aktie, den Singapur für seine
Merrill-Aktien bezahlt, liegt um mehr als 13 Prozent unter dem Schlusskurs
vom vergangenen Freitag.
Merrill Lynch ging bei ausländischen Investoren auf "Betteltour"
Mit
der Finanzspritze will Merrill einen Teil der im Zusammenhang mit der
Subprime-Krise entstandenen Verluste auffangen. Merrill ist nicht das
einzige amerikanische Finanzunternehmen, das mit dem Hut in der Hand bei
neureichen ausländischen Investoren anklopft. Kurz zuvor hatte die
Wall-Street-Bank Morgan Stanley wegen Milliardenverlusten knapp zehn Prozent
ihres Aktienkapitals für fünf Mrd. Dollar an einen chinesischen Staatsfonds
abgegeben. Und die krisengeschüttelte Citigroup, das weltweit größte
Bankunternehmen, verkaufte einen Teil seiner Aktien an das Scheichtum Abu
Dhabi für 7,5 Mrd. Dollar.
Die Kreditkrise, in die viele Banken mit ausgelagerten Zweckgesellschaften
hineingeschlittert sind, hat Merrill Lynch besonders stark betroffen. Das
Unternehmen musste bereits unter seinem im November geschassten Chef Stanley
O'Neal für das dritte Quartal Wertberichtigungen in Höhe von fast acht Mrd.
Dollar vornehmen. Sein Nachfolger John Thain, bis vor kurzem Chef der New
York Stock Exchange, wird Berichten zufolge zusätzliche 7,5 Mrd. Dollar
abschreiben.
Singapur füllt 30 Prozent der Finanzlücke
Wenn das
zutrifft, würde die Finanzspritze aus Singapur nur etwa 30 Prozent der
Finanzierungslücke füllen. Der amerikanische Geldmanager Davis Selected
Advisors wird 1,2 Mrd. Dollar in Merrill investieren, hieß es weiter.
Merrill wird zudem seine 15 Mrd. Dollar schwere Sparte für die Finanzierung
von Mittelstandsunternehmen an den Mischkonzern General Electric Co
verkaufen. Der Kaufpreis wurde nicht genannt; durch das Geschäft könne
Merrill aber nach eigenen Angaben 1,3 Mrd. Dollar in anderen Teilen der
Bank einsetzen.
Merrills Ergebnisse für das vierte Quartal und das Jahr 2007 werden im
Jänner bekanntgegeben. Der Analyst David Trone bei der Firma Fox-Pitt Kelton
Cochran schätzt Merrills Verluste durch Investitionen, Ausleihungen und
Hedge-Fonds auf bis zu 18 Milliarden Dollar, berichtet das Börsenblatt "The
Wall Street Journal" in seiner Online-Ausgabe vom 25. Dezember.
Kann Merrill die Finanzlücke schließen?
Da Merrills
Finanzproblem mit der Kapitalspritze aus Singapur nicht gelöst ist, dürfte
Konzernlenker Thain andere Kapitalbeschaffungsmaßnahmen ins Auge fassen. Die
Aussetzung der Dividende wäre eine Lösung. Die Schweizer Großbank UBS AG ist
bisher das einzige wegen hoher Verluste durch die Subprime-Krise in
Schwierigkeiten geratene Finanzinstitut, das zugleich einen ausländischen
Staatsfonds in die Bank holen will und die Dividende ausgesetzt hat. UBS
könnte sich hierdurch 15,7 Mrd. Dollar beschaffen - mehr als genug, um die
durch Abschreibungen entstandene 14-Mrd.-Dollar-Lücke zu schließen.
Banken sind in den seltensten Fällen bereit, die Dividende anzutasten, weil
sie keinen Aktionärsaufstand riskieren wollen. Doch auch die Alternative -
die Veräußerung von Unternehmensteilen zu Schleuderpreisen - ist bei den
Anlegern unpopulär. Eine andere Möglichkeit wäre, die Ausleihungen drastisch
einzuschränken. Hierdurch könnte eine Bank jedoch Marktanteile an besser
finanzierte Wettbewerber verlieren. Außerdem würde eine solche Maßnahme die
Bemühungen der Notenbank zur Umgehung einer Rezession unterlaufen.
Spekulationen über Verkauf der Broker-Sparte
Als O'Neal noch
Chef des Hauses war, gab es Spekulationen über den möglichen Verkauf der
Broker-Sparte mit ihren 16.000 Maklern und Finanzberatern. Doch angeblich
zählt Thain das Straßengeschäft zu Merrills Kerngeschäftsfeldern, auf das er
nicht verzichten will. Merrill Lynch hält auch 30 Prozent der Anteile des
vom New Yorker Oberbürgermeister Michael Bloomberg gegründeten
Medienunternehmens Bloomberg LP. Der Verkauf dieser Beteiligung könnte zwei
bis drei Mrd. Dollar einbringen.