Wien

Kanzler Faymann im Interview

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Kanzler Faymann: "Wir können doch den Griechen nicht drohen" 

ÖSTERREICH: Was ist vonseiten der EU ab Sonntagabend zu tun, wenn die SYRIZA heute in Griechenland die Mehrheit holt?
WERNER FAYMANN:
Das können wir sagen, wenn die griechischen Wähler entschieden haben und die Parteien erklären, wie sie die Regierung bilden wollen. Es ist auch schlecht, wenn man einem Land ausrichtet, was man im Fall eins, zwei oder drei machen wird. Das kommt schon einer Drohung nahe – und so geht man nicht mit anderen Ländern um.

ÖSTERREICH: Das heißt, ich bekomme auch keine Antwort auf die Frage, ob die EU die Zahlungen einstellt, wenn die neue Regierung den Sparkurs beendet …
FAYMANN:
Ich glaube, Sie wären enttäuscht, wenn ich die Frage beantworten würde. Und ich möchte Sie nicht enttäuschen.

ÖSTERREICH: Sie haben gesagt, man muss bei der Schuldenkrise Kettenreaktionen verhindern. Welche sind da vorstellbar?
FAYMANN:
Es geht darum, wenn ein Land von sich aus entscheidet, nicht mehr beim Euro sein zu wollen, darauf zu achten, dass die anderen Länder, die sehr mühevoll ihre Sparprogramme und fleißigen Strukturreformen vorantreiben, keinen Schaden nehmen. Und da sind wir gleich beim wichtigen Thema Bankenunion. Die beste Konsequenz aus der Schuldenkrise wäre eine Bankenunion mit zwei Eckpunkten: eine starke unabhängige Bankenaufsicht auf der einen Seite und eine europaweite Einlagensicherung auf der anderen. Es wäre ideal, wenn die Banken eine europaweite Einlagensicherung schaffen und damit die Sparbücher der Bevölkerung gesichert werden. Denn wirklich gefährlich für eine Bank ist es, wenn alle ihr Geld abheben, weil sie das Vertrauen verloren haben.

ÖSTERREICH: Welcher Zeitrahmen wäre für so eine Bankenunion realistisch?
FAYMANN:
Für die Bankenaufsicht wäre Herbst realistisch. Und die wäre der erste nötige und logische Schritt für eine Bankenunion. Denn diese Aufsicht muss wirklich unabhängig und streng agieren, muss Einblick in jede Unterlage haben und tatsächlich alles auf Herz und Nieren prüfen. Strenge Rechnung, gute Freunde. Denn politische Beschönigungen brauchen wir keine mehr. Mit denen kommt man zwar meistens ein paar Monate drüber, aber zum Schluss erwischt es einen dann besonders dick …

ÖSTERREICH: Höre ich da raus, dass in der Vergangenheit viel beschönigt wurde?
FAYMANN:
Nun, man muss nicht einmal bei Griechenland anfangen. Selbst die bestbewerteten Länder wie Deutschland oder Österreich haben sich an viele Regeln nicht gehalten. Und wenn man gefragt hat, warum hält sich keiner an die Regeln, hat man gehört: Es geht uns doch ohnehin so gut. Nur davon hat man nichts. Das ist, wie wenn Sie zur Gesundenuntersuchung gehen und sagen: Reden wir darüber, wie gut es mir geht, aber 
machen wir bitte kein Röntgen. 
ÖSTERREICH: Das ist sehr selbstkritisch …

FAYMANN: Es ist selbstkritisch, aber es ist auch Kritik daran, dass die Eurozone mit sehr viel Optimismus und Hoffnung angelegt war, man es aber verabsäumt hat, die gemeinsame Währung mit Instrumentarien der Absicherung und der Disziplin auszustatten. Die Instrumente, einzugreifen und füreinander zu haften, haben die Amerikaner mit der Federal Reserve, wir haben aber unsere EZB damit nicht ausgestattet. Man ist in der Gründungsphase diesem politischen Streit ausgewichen, weil solche Instrumente – Fiskalunion, Bankenunion – natürlich für jene Länder eine Einschränkung der Souveränität bedeuten, die sich am freien Markt nicht refinanzieren können. Politiker mit langjähriger Erfahrung wie Jean-Claude Juncker, der seit 1995 Regierungschef ist, haben mir gesagt: Man hat das alles diskutiert, aber man konnte sich nicht einigen.

ÖSTERREICH: Ein Fehler …
FAYMANN:
Ja sicher, und wir werden nicht umhinkommen, diese politische Diskussion auszutragen und einen Kompromiss zu finden. Aber am Ende muss eine starke Union mit strengen Fiskalregeln und strengen Regeln für Banken stehen.

ÖSTERREICH: Jetzt über Banken- und Fiskalunion hinaus: Wie sieht Ihr ideales Europa aus?
FAYMANN:
Ich würde mir wünschen, dass ich den Großeltern und Eltern in unserer Generation sagen kann: Für eure Enkelkinder haben wir ein Europa aufgebaut, wo vieles noch nicht fair oder gerecht genug ist, das aber deshalb auf Frieden setzt, weil die Menschen das Gefühl haben, miteinander sind wir stärker. Wo es ein Zusammengehörigkeitsgefühl gibt, das diesen Frieden sichert. Und dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ist, angesichts einer aktuellen Jugendarbeitslosigkeit von 20 Prozent aufwärts in manchen Ländern, nur gewährleistet, wenn es Beschäftigung und gewisse soziale Grundrechte gibt.

ÖSTERREICH: Was muss gewährleistet sein, damit wir dieses Europa erleben?
FAYMANN:
Die Wettbewerbsfähigkeit Europas – das, was viele Wachstum nennen. Das ist derzeit das Problem vieler Länder: Wenn man einen großen Teil seines Geldes für Zinszahlungen für Staatsanleihen ausgibt, wird man kein Geld für Wachstum in die Hand nehmen können. Wir reden derzeit von 300 Milliarden Euro jährlich für Zinszahlungen in der Eurozone. Dabei ist natürlich der Anteil von Ländern wie Deutschland, Österreich oder Niederlande, also der besten, mit Zinsen um die 2 Prozent viel geringer. Andere, also genau jene, die diesen Spielraum für ihr Wachstum brauchen, nähern sich 7, 8 oder mehr Prozent. Deshalb ist eine gemeinsame Vorgangsweise bei der Schuldenbewirtschaftung so wichtig.

ÖSTERREICH: Mit der gemeinsamen Schuldenbewirtschaftung kann es aber nicht getan sein. Wäre nicht auch eine einheitlichere Steuerkultur in Europa wichtig?
FAYMANN:
Ja, auch da darf es kein Nord-Süd-Gefälle geben. Es ist natürlich ungerecht, wenn ein Teil die Steuern zahlt und ein anderer nicht. Und doppelt ungerecht ist, dass in Ländern wie Griechenland ja nicht die Ärmsten am wenigsten Steuern zahlen, sondern jene, die sich’s richten können. Es ist eine wichtige Maßnahme der Verteilungsgerechtigkeit, dort, wo es keine ausreichend funktionierenden Steuersysteme mit rechtsstaatlichen Steuerbehörden gibt, welche zu installieren.

ÖSTERREICH: Womit wir fast schon bei Ihrem Lieblingsthema, der Finanztransaktionssteuer, wären. Immer noch optimistisch, sie EU-weit durchzubringen?
FAYMANN:
Natürlich. Sie ist auch wichtig für unser Wachstum. Wir müssen die Realwirtschaft belohnen, die Arbeit entlasten und die Vermögen stärker besteuern. Auch in Österreich muss das Bestandteil der nächsten Steuerreform sein. Die Erbschaftssteuer ist weiterhin ein Thema. Wer über eine Million Euro erbt, soll einen Beitrag leisten.

ÖSTERREICH: Das war aber mit der ÖVP bisher nicht zu machen …
FAYMANN:
Vieles, was auf den ersten Blick nicht zu machen war, ist heute Gesetz. Wir haben immer einen Konsens gefunden. Nehmen Sie nur das Sparprogramm, das wir gemeinsam beschlossen haben.

ÖSTERREICH: Noch eine aktuelle Frage: Soll der Rettungsschirm noch weiter aufgespannt werden, um auch einen eventuellen Ausfall Italiens zu verkraften?
FAYMANN:
Da besteht ja wirklich kein Bedarf. Mario Monti hat klar festgestellt, dass Italien mit viel Disziplin erfolgreich unterwegs ist. Was hat man davon, einem Land, das sich derzeit total anstrengt und mit Mario Monti an der Spitze jahrzehntelange Versäumnisse beseitigt, auszurichten: Wer weiß, ob das gelingt? Ich finde, man muss wirklich alles unternehmen, eine gemeinsame Währungszone mit neuen Instrumenten aufzubauen, aber man soll das nicht immer mit apokalyptischen Bildern verbinden, das nützt keinem.

ÖSTERREICH: War Ihnen Ihre Finanzministerin da nicht ein wenig peinlich?
FAYMANN:
Das kommentiere ich nicht, weil sie selber gesagt hat, dass sie es so nicht gemeint hat, und so lasse ich das stehen.

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