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Kanzler im Interview

"TTIP? Haben es nicht einmal bei CETA geschafft"

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Dem Freihandelsabkommen TTIP erteilte der SPÖ-Kanzler in Brüssel gleich eine Absage.

Trickst sich die EU doch noch zum Kompromiss?

In der Nacht auf Samstag haben sich die Ereignisse in Sachen CETA überschlagen. Erst werfen die Kanadier entnervt das Handtuch und treten die Heimreise an, dann kann Handelsministerin Chrystia Freeland in letzter Minute doch noch überredet werden, zu bleiben. Kurz sah es so aus, als würde das große Handelsabkommen zwischen EU und Kanada tatsächlich an der kleinen Wallonie – dem französischsprachigen teil Belgiens – scheitern. Jetzt bekommt CETA noch eine letzte Chance.

Video zum Thema: Kanada bricht CETA-Verhandlungen ab

»Ich hoffe, ich kann mit 
Trudeau wiederkommen«

Das Resultat eines Krisentreffens, zu dem EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Freeland am Samstag in der Früh bat: Man hält am Vorhaben CETA fest und will, wie gehabt, am kommenden Donnerstag unterzeichnen. „Die Probleme liegen auf dem Tisch der Europäer und wir müssen versuchen, sie zu regeln“, erklärte Schulz nach dem Treffen, das er für „vielleicht entscheidend“ hält. Auch Freeland gab sich gestern optimistisch: „Ich hoffe wirklich, dass ich in ein paar Tagen mit meinem Premier (Justin Trudeau, Anm.) wiederkommen kann, um das Abkommen zu unterzeichnen.“ Noch am selben Tag leistete Schulz beim wallonischen Regierungschef Paul Magnette Überzeugungsarbeit.

Kern stimmt zu, die Österreicher sind noch skeptisch

Bevor sich die Wallonie in Gallier-Manier gegen CETA aufgelehnt hatte, wartete alles gespannt auf ein „Ja“ von Österreich. Das hat Kanzler Kern inzwischen zugesichert, doch die Bevölkerung dürfte er laut Gallup-Umfrage für ÖSTERREICH damit nicht hinter sich haben: 71  % würden dagegen stimmen. 74 % geben übrigens an, nicht darüber informiert zu sein.

Kern im Interview: "Dann holen wir uns eine blutige Nase"

ÖSTERREICH: Sind die Vorgänge rund um CETA nicht ein schweres Alarmsignal für die EU?

Christian Kern:
Natürlich ist das alles kein gutes Zeichen. Und wir müssen jetzt die Lehren daraus ziehen, sonst schaden wir Europa. Das europäische Projekt ist keine Selbstverständlichkeit, wie das Brexit-Votum zeigt. Die EU steht mit dem Rücken an der Wand und muss sich jetzt lernfähig zeigen …

ÖSTERREICH:
Sonst? Sie sehen eine Zeitenwende für die EU durch Aufstieg von Le Pen, AfD, FPÖ?

Kern:
Ja, wir befinden uns in ­einer Zeitenwende und es geht jetzt darum zu zeigen, dass wir die Zeichen verstanden haben. Viele Menschen haben das Gefühl, den Anschluss zu verlieren. Dass die Globalisierung, die natürlich viel Gutes gebracht hat, die Früchte der Wirtschaft nicht mehr gerecht verteilt. Wir müssen den Wohlstand, den Gewinn wieder gerechter verteilen. Das ist unsere Aufgabe, wenn wir die Menschen zurückgewinnen wollen.

ÖSTERREICH:
Wie gelingt das?

Kern:
Es gibt keine einfache Antwort darauf. Aber wir müssen z. B. die Handelspolitik fairer gestalten. Wir müssen unsere Stahlindustrie vor chinesischen Billigimporten schützen. Allein im vergangenen Jahr sind in Europa 40.000 Arbeitsplätze in dieser Industrie verloren gegangen. Entweder wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst oder wir verlieren sie.

ÖSTERREICH: Sie haben beim Gipfel ein Nein zu TTIP deponiert.

Kern: Wir haben es noch nicht einmal geschafft, die Wallonen von CETA zu überzeugen und wollen uns beim viel problematischeren TTIP gleich die nächste blutige Nase holen? Das wäre absurd. Die Euphorie, mit der einige in der EU das Freihandelsabkommen mit den USA forcieren wollen, ist mir unverständlich. Den Prozess um CETA, in dem viel zu spät über Bedenken debattiert wurde, können wir nicht rückgängig machen. Aber ich werde nicht zulassen, dass wir diese Fehler wiederholen.

ÖSTERREICH:
Nicht nur in der EU gibt es tiefe Gräben. Haben SPÖ und ÖVP nicht einfach zu unterschiedliche Gesellschaftsmodelle, um etwas weiterzubringen?

Kern: Sie haben Recht, dass SPÖ und ÖVP sehr unterschiedliche Gesellschaftsmodelle haben. Bei der Mindestsicherung gab es Verbesserungsbedarf und wir sind der ÖVP sehr weit entgegengekommen. Und das reicht ihr immer noch nicht.

ÖSTERREICH:
Warum ist die SP der VP so weit entgegengekommen?

Kern: Weil die Mindestsicherung dazu da ist, die Ärmsten der Armen zu schützen. Wir wollten nicht zulassen, dass dieses Instrument zerstört wird. Wir haben uns deshalb weit bewegt und feststellen müssen, dass zwei ÖVP-Länder immer neue Forderungen stellen. Wir wollen die Mindest­sicherung retten. Verschlech­terungen für Behinderte oder Alleinerzieherinnen sind mit uns aber nicht zu machen.

ÖSTERREICH: Jetzt will der Sozialminister mit den VP-Ländern verhandeln statt mit der Bundes-VP. Ist das nicht ein bissi seltsam?

Kern: Die Länder sind in diesem Fall der Vertragspartner des Bundes. Wenn die ÖVP keinen einheitlichen Standpunkt hat, dann muss der Sozialminister eben mit den VP-Landeshauptleuten verhandeln, die bei der Reform bremsen. Wir wollen eine Lösung innerhalb von zwei Wochen. Denn die ÖVP riskiert, dass sie eine Mindestabsicherung für die Bedürftigen verhindert.

ÖSTERREICH:
Und sind Sie optimistisch, dass es noch eine Lösung geben wird?

Kern: Angesichts der letzten Wochen bin ich leider nicht allzu optimistisch.

ÖSTERREICH:
Wären angesichts dieser Differenzen Neuwahlen nicht langsam vernünftiger?

Kern: Manche sagen, wir als SPÖ haben solide Umfragedaten und gute Chancen, aber ich bin auch Regierungschef und habe als solcher Verantwortung für das Land. Wir haben einen Arbeitsauftrag bis 2018 und viel zu tun. Ich hoffe, dass das auch alle in der ÖVP so sehen. Bei Reinhold Mitterlehner habe ich keinen Zweifel.

Interview: Isabelle Daniel

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