Für Hungerlohn

Türkei hält Flüchtlinge als Arbeitssklaven

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Flüchtlinge müssen auf dem Schwarzmarkt für einen Hungerlohn schuften

Sein Leben hatte sich Rafat S. anders vorgestellt: "Ich fühle mich wie eine Maschine, nicht mehr wie ein Mensch", sagt der 27-jährige Syrer. Er sitzt in einem Teehaus im Istanbuler Stadtteil Zeytinburnu, wo sich Dutzende Textilfirmen befinden. Von überall her ist das Rattern von Nähmaschinen zu hören. S. hat Zeitdruck - denn er darf sich nur wenige Minuten von seinem Arbeitsplatz entfernen.

Der junge Mann, der seinen Nachnamen nicht nennen will, hat in der syrischen Hauptstadt Damaskus Kunst studiert. Er wollte Kindern die Malerei beibringen, sie für Farbkompositionen und Lichtreflexe begeistern. Jetzt näht er Wäscheetiketten in T-Shirts hinein, bis zu zwölf Stunden am Stück, an sechs Tagen die Woche, für einen Lohn von umgerechnet 250 Euro pro Monat. Damit verdient der Künstler die Hälfte des türkischen Mindestlohns, der bei 1.647 Türkische Lira brutto (500 Euro) liegt.

Als Flüchtling gehört er zu dem Heer von Arbeitern, deren Dienstleistungen besonders oft ausgebeutet werden. Tausende Syrer, so schätzen die großen türkischen Gewerkschaften DISK, TÜRK-İS und HAK-İS, müssen für Hungerlöhne auf dem Bau oder in Fabriken schuften, oftmals unter katastrophalen Bedingungen weit unter dem Existenzminimum. In einem Bericht des türkischen Arbeitgeberverbands TISK heißt es, rund 300.000 Syrer würden in der Türkei arbeiten, mehrheitlich auf dem Schwarzmarkt - insgesamt leben rund 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei.

   Zwar erlaubt die türkische Regierung registrierten Syrern seit Jänner, eine Arbeitserlaubnis zu beantragen, was freilich nicht heißt, dass sie auch eine bekommen. Denn die Hürden dafür sind nur extrem schwierig zu überwinden. Die allermeisten Flüchtlinge halten sich daher mit Schwarzarbeit über Wasser. Das dulden die Behörden zwar, die Bezahlung beträgt aber oft nicht einmal die Hälfte des gesetzlichen Mindestlohnes - Zustände, die zudem auch noch Kinderarbeit fördern, wie türkische Medien regelmäßig berichten.

Unterstützung bräuchten auch die Näher in der Firma, in der S. schuftet - denn diese arbeiten unter schwierigen Bedingungen. In der kleinen Fabrik, die sich in Kellerräumen von Zeytinburnu befindet, nähen, bügeln und verpacken nach seinen Angaben rund 60 Mitarbeiter T-Shirts. Auf seinem Handy zeigt er Bilder, auf denen die Arbeiter dicht an dicht an kleinen Tischen sitzen, Berge von Stoff türmen sich neben den laut ratternden Nähmaschinen, hartes Neonlicht beleuchtet die Räume. Notausgänge sind keine zu sehen.

Um genau solch eine Ausbeutung zu vermeiden, bietet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die zuständig ist für die Durchsetzung internationaler Arbeits- und Sozialstandards, seit dem 1. Juni ein Sonderprogramm in der Türkei an. Das Programm mit dem Namen "Die Antwort der ILO auf den Zustrom der syrischen Flüchtlinge in der Türkei" hat zum Ziel, die Auswirkungen der syrischen Flüchtlingskrise zu mildern, indem deren Arbeitsbedingungen verbessert werden. Angeboten werden Türkischsprachkurse und Fortbildungsprogramme etwa als Friseur in Flüchtlingscamps - überwiegend durchgeführt in Städten an der türkisch-syrischen Grenze im Südosten des Landes.

Doch in Zeytinburnu sind die Arbeiter nach eigenen Angaben auf sich alleine gestellt. Ebenfalls in Zeytinburnu arbeitet Reem Z.. Auch sie will ihren Nachnamen nicht öffentlich nennen, sie näht Schleifchen an Kinderkleidung. "Für uns ist diese Arbeit überlebenswichtig", sagt die 18-Jährige aus dem syrischen Aleppo. "Auch wenn ich manchmal bis zu 15 Stunden am Stück arbeiten muss, auch wenn die Bezahlung eine Unmöglichkeit ist, für uns Syrer ist es eine der wenigen Chancen, Geld für eine Weiterreise nach Europa zu verdienen."

Sowohl S. als auch Z. schildern, dass ihre Vorgesetzten sich weder um regulierte Arbeitszeiten, das Anrecht auf den gesetzlichen Mindestlohn, das Recht auf Versammlung, einen gesundheitsverträglichen Arbeitsplatz oder gar gesetzliche Pensionsbeiträge oder die Einzahlung in eine Krankenkasse kümmern würden. Denn sie wüssten, dass ohnehin niemand die Unternehmen kontrollieren würde, und arbeitssuchende Syrer gibt es Tausende in Istanbul - wer da seine Rechte einfordert, der kann umgehend ohne Lohn wieder gehen.
 

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