Massenfestnahmen & Co.

Verbindung zu Gülen: Türkei suspendiert 9.000 Polizisten

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Die Regierung in Ankara geht weiter hart gegen angebliche Gülen-Anhänger vor.

Die türkische Polizei hat mehr als 9.000 Beamte suspendiert, weil sie Verbindungen zum regierungskritischen Prediger Fethullah Gülen haben sollen. Die Suspendierung der insgesamt 9.103 Beamten sei "aus Gründen der nationalen Sicherheit" erforderlich, teilte die Polizei am Mittwochabend mit.

   Gut neun Monate nach dem Putschversuch in der Türkei sind bei landesweiten Razzien gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger innerhalb der Polizei mehr als tausend Verdächtige festgenommen worden. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete am Mittwoch, bei dem Einsatz in allen 81 Provinzen des Landes sei es zu 1.120 Festnahmen gekommen. Insgesamt würden 4.672 Menschen als Verdächtige angesehen, von denen 1.448 bereits in Haft seien. Die übrigen 3.224 würden per Haftbefehl gesucht.

   Die Zeitung "Hürriyet" berichtete unter Berufung auf anonyme Quellen sogar von 7.000 Haftbefehlen. Bei den Razzien habe die Polizei mit dem türkischen Inlandsgeheimdienst MIT zusammengearbeitet. Der MIT steht im Verdacht, auch in Deutschland Anhänger der Gülen-Bewegung auszuspionieren.

   Zu den Razzien berichtete Anadolu, Ziel sei es, die geheime Struktur der Gülen-Bewegung innerhalb der Polizei zu zerschlagen. 8.500 Sicherheitskräfte seien an den Operationen beteiligt gewesen. Innenminister Süleyman Soylu nannte den Einsatz "einen sehr wichtigen Schritt". Ziel der geheimen Struktur sei es gewesen, durch Infiltration die Kontrolle über den Polizeiapparat zu erlangen.

   Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) erklärte am Mittwoch, die Lage für Journalisten und Medien habe sich wegen der "beispiellosen Repressionswelle seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer erneut verschlechtert".

   Die Regierung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres verantwortlich. Gülen weist das zurück. Die Bewegung gilt in der Türkei als Terrororganisation. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes äußerte sich kritisch zu den erneuten Massenfestnahmen. Er sagte am Mittwoch in Berlin, die Aufklärung des Putschversuches sei zwar wichtig, es sei aber schwer zu glauben, "dass so eine lange Zeit nach dem Putsch die Verhaftung von tausend Personen wirklich verhältnismäßig sein soll". Gülen lebt im Exil in den USA. Die türkische Regierung hat Washington wiederholt zur Auslieferung Gülens aufgefordert. Die Angelegenheit dürfte eines der zentralen Themen eines USA-Besuchs Erdogans Mitte Mai sein.

   Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte nach dem Putschversuch angekündigt, den Staatsapparat von Gülen-Anhängern zu "säubern". Seitdem kommt es immer wieder zu Festnahmen. Nach offiziellen Angaben von Anfang des Monats wurden seit Juli mehr als 47.000 Verdächtige wegen angeblicher Gülen-Verbindungen in Untersuchungshaft genommen. Rund 100.000 Beschuldigte wurden aus dem Staatsdienst entlassen.

   Auch westliche Sicherheitskreise hatten vor dem Putschversuch keinen Zweifel daran, dass die Polizei, aber auch die Justiz von der Gülen-Bewegung massiv unterwandert war. Gülen und Erdogan waren bis zu einem offenen Zerwürfnis im Jahr 2013 Verbündete. Nach dem Putschversuch hatte Erdogan den landesweiten Ausnahmezustand ausgerufen, der zuletzt in der vergangenen Woche verlängert wurde. Der Ausnahmezustand gilt nun bis mindestens zum 19. Juli. Erdogan brachte außerdem die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Spiel.

   Aus Sorge um die Demokratie in der Türkei seit dem Putschversuch hatte die Parlamentarische Versammlung des Europarats das Land am Dienstag erstmals seit 13 Jahren wieder unter volle Beobachtung gestellt. Die Regierung in Ankara verurteilte den Beschluss als politisch motiviert. Zuvor war es bereits zu erneuten Spannungen mit Europa rund um das Verfassungsreferendum zur Einführung eines Präsidialsystems gekommen, das Erdogan nach vorläufigen Ergebnissen mit rund 51 Prozent knapp gewonnen hatte. Mit der Verfassungsreform werden die Machtbefugnisse des Staatspräsidenten deutlich erweitert, die Befugnisse des Parlaments geschwächt und die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt. Die Opposition kritisierte "Wahlbetrug" und verlangte vergeblich eine Annullierung des Referendums.
 

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