Die ÖBB werden wie von Infrastrukturministerin Doris Bures (S) gefordert über die illegalen Aufzeichnungen von Krankendaten im Unternehmen der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung übermitteln, kündigte ÖBB-Aufsichtsratschef Horst Pöchhacker an.
Ein externer Anwalt solle sich darum kümmern, "damit nicht Dinge wie Vertuschung oder andere Dinge hier im Raum stehen bleiben". Personelle Konsequenzen sind vorerst aber nicht vorgesehen.
Jüngst war bekanntgeworden, dass die ÖBB genaue Aufzeichnungen über die Krankenstände von Mitarbeitern geführt hat und teilweise auch auf Familienmitglieder eingewirkt hat, um die Krankenstände zu reduzieren. Vor wenigen Jahren waren ÖBB-Mitarbeiter noch im Schnitt 27 Tage pro Jahr im Krankenstand, inzwischen sind es 17 Tage. Durchschnittlich sind die Österreicher pro Jahr 12 Tage krank.
Der neue ÖBB-Personalchef Emmerich Bachmayer soll sicherstellen, "dass ab sofort nichts mehr gespeichert werden darf, was verboten ist", Bachmayer "wird das so durchziehen", sagte Pöchhacker. Das EDV-System werde so geändert, dass unzulässige Aufzeichnungen nicht mehr möglich sind. In die ÖBB-interne Untersuchungskommission soll ein Datenschutzexperte aufgenommen werden.
Der Aufsichtsrat sei vor einem Jahr über die Praktiken informiert worden, aber "da es dann nie wieder behandelt wurde, weder von Belegschaftsvertretern noch vom Management, musste man stillschweigend annehmen, bei den Hunderten von Problemen die wir in diesen Sitzungen besprechen, dass es erledigt sei", rechtfertigte Pöchhacker, dass der Aufsichtsrat nicht eingeschritten ist.
Pöchhacker dementiert auch Berichte, wonach in nächster Zeit mit der Streichung von 1.600 Kilometern Bahn zu rechnen sei. Es sei "selbstverständlich", dass sich angesichts der Nachfrageeinbrüche der Vorstand mit der "Wirtschaftlichkeit sowohl von Strecken als auch von Knotenpunkten" beschäftigen müsse. Was aber in den Medien gestanden sei, "ist so weder beschlossen noch wird es so stattfinden". Es gebe keine konkreten Pläne für Streckenkürzungen.
Aufsichtsrat verlangte im Mai 2008 Klärung
ÖBB-Aufsichtsratschef Horst Pöchhacker hat aus seiner Sicht im Mai 2008 alles Nötige veranlasst, um die Vorgänge rund um die Aufzeichnung von Krankendaten im Unternehmen aufzuklären. Es habe damals "klare Anweisungen aus dem Aufsichtsrat gegeben, diese Vorwürfe zu klären. Wie effizient und umfassend diese Maßnahmen umgesetzt wurden, wird derzeit geprüft", wird er in einer ÖBB-Aussendung zitiert.
"Nachdem diese Causa in den darauffolgenden Sitzungen von niemanden im Aufsichtsrat, einschließlich der Belegschaftsvertretung, angesprochen worden sei, konnten die Kapitalvertreter davon ausgehen, dass die Sache bereinigt ist", sieht Pöchhacker laut Aussendung damit seine Verantwortung beendet.
Nun soll eine Untersuchungskommission unter Leitung des neuen Personalchefs Emmerich Bachmayer die Situation klären. Die Kommission soll nach dem gestrigen Aufsichtsrat durch externe unabhängige Experten aus den Bereichen Menschenrechte/Verfassungsrecht und IT/Datenforensik "aufgewertet" werden. Zugleich werden die IT-Systeme so umgestellt, dass ein "Datenmissbrauch rein technisch verunmöglicht wird".
Nach Rücksprache mit Strafrechtsexperten werden vor der Löschung der sensiblen Daten Sicherungskopien erstellt und von der ÖBB-Dienstleistungs GmbH bei einem gerichtlich beeideten Sachverständigen hinterlegt. Das Datenschutzgesetz schreibe die Löschung sensibler Daten zwingend vor. Zusätzlich wurde die Konzernrevision mit der Untersuchung beauftragt, ob es in diesem Zusammenhang zu Verfehlungen gekommen sei.
Ein externer Anwalt - die Tageszeitung "Die Presse" schreibt, es werde die Arbeitsrechtlerin Sieglinde Gahleitner sein - soll eine Sachverhaltsdarstellung für die Staatsanwaltschaft verfassen.
Bures schickt Pröll einen Offenen Brief
Am Rande des ÖBB-Aufsichtsrates ist es zu einem Schlagabtausch zwischen Vizekanzler Finanzminister Josef Pröll (V) und Verkehrsministerin Doris Bures (S) gekommen. Nachdem Pröll in einer Aussendung davon gesprochen hatte, dass die ÖBB jährlich sieben Milliarden Euro an Steuergeldern und Staatshaftungen erhalten würden, sah sich Bures gefordert, gemeinsame Vereinbarungen einzumahnen und die Zahl zu korrigieren.
Demnach würden nicht sieben Milliarden, sondern die Hälfte, also 3,5 Mrd. Euro, in die ÖBB fließen, so die Ministerin. Bures in einem Offenen Brief an Pröll: "Es erscheint mir nicht sehr zielführend zu sein, diese Zahlen in der öffentlichen Darstellung zu verdoppeln."
Weiters heißt es im Schreiben der Ministerin: "Das klare Bekenntnis und die gemeinsame Linie der Bundesregierung zu diesen wichtigen Investitionen wurde nicht nur durch den Ministerratsbeschluss vom 31.03.2009, sondern auch durch die mehrheitliche Beschlussfassung im österreichischen Nationalrat mehrfach dokumentiert und steht - so hoffe ich - auch weiterhin außer Streit. Gerade die Verkehrspolitik eines Landes braucht besonders im Hinblick auf die Realisierungszeiten von Großprojekten unbedingte Verlässlichkeit."
Pröll hatte zuvor kritisiert dass "ÖBB-Bedienstete im Durchschnitt 27 Tage pro Jahr im Krankenstand seien, was mehr als doppelt so lang wie der österreichische Durchschnitt sei".
Auch das wollte Bures nicht so stehen lassen. "Im Übrigen möchte ich noch festhalten, dass derzeit ÖBB-Bedienstete nicht 27 Tage durchschnittlich im Krankenstand sind, sondern 17 Tage. Auch wenn die Krankenstandstage bei ÖBB-Bediensteten damit nicht - wie du gesagt hast - doppelt so hoch sind wie der österreichische Durchschnitt von 12 Tagen, halte ich es für richtig, dass das Unternehmen Maßnahmen gegen überdurchschnittlich viele Krankenstände setzt, aber es ist inakzeptabel, zu unmenschlichen und rechtswidrigen Methoden zu greifen", so Bures.
Lopatka kontert "Zahlenspielereien"
Der Schlagabtausch in der Koalition zum Thema ÖBB geht weiter. Infrastrukturministerin Doris Bures (S) wäre gut beraten, nicht mit Zahlenspielereien von einem ÖBB-Datenschutzskandal abzulenken, so ÖVP-Staatssekretär Reinhold Lopatka in einer Aussendung. Statt Briefe zu schreiben sei sie gefordert, für lückenlose Aufklärung zu sorgen und die notwendigen Reformschritte bei den ÖBB unverzüglich einzuleiten,
Bures habe in der in ihrem offenen Brief an Vizekanzler Josef Pröll (V) angestellten Rechnung nämlich vergessen, jene Gelder, die die ÖBB zusätzlich zu den Budgetzuschüssen als Schulden aufnimmt, mitzurechnen. Wie berichtet, fließen nach der Meinung von Bures nicht 7 Mrd. Euro an Steuergeldern und Staatshaftungen in die ÖBB, sondern die Hälfte, also 3,5 Mrd. Euro.
Lopatka rechnet am Beispiel des heurigen Jahres vor: Für Bauleistungen und Betrieb der ÖBB fließen aus dem Budget heuer 1,9 Mrd. Euro (Gesetzliche Verpflichtungen, Kosten für Eisenbahninfrastruktur und Gemeinwirtschaftliche Leistungen). Weitere 2,067 Mrd. Euro fließen heuer aus dem Budget für Pensionsleistungen der Eisenbahner. Zusätzlich dazu nehmen die ÖBB heuer mit Bundeshaftung 2,8 Mrd. Euro an zusätzlichen Schulden auf.
In Summe subventioniert die Republik somit die ÖBB mit 6,8 Mrd. Euro, was jenen rund 7 Mrd. Euro entspreche, die der Finanzminister heute im Ministerrat genannt habe. Die Gesamtschulden der ÖBB steigen dadurch von 13,4 auf 16,2 Mrd. Euro.
Holzinger mahnt Grundrechte ein
Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes Gerhart Holzinger mahnt angesichts der Affäre um die ÖBB-Krankenstandsakten die strenge Einhaltung der Grundrechte und der Regelungen zum Datenschutz ein. In Betrieben müsse darauf geachtet werden, dass auch betriebswirtschaftlich berechtigte Anliegen nur im Rahmen der Gesetze verfolgt werden. "Nicht alles, was betriebswirtschaftlich nützlich sein mag, darf auf Kosten der Grundrechte realisiert werden", sagte er bei einer Buchpräsentation.
Holzinger regte überdies an, zu überlegen, ob die Verfassung "nicht nachgebessert werden muss". Datenschutz sein ein zentraler Bestandteil der Verfassung - aber die Frage sei, ob sie angesichts der rasanten Entwicklungen in diesem Bereich noch auf dem letzten Stand der Dinge ist.
Der VfGH-Präsidenten appellierte aber auch an "jeden einzelnen", mit den eigenen Daten sorgsam und zurückhaltend umzugehen. "Wer freiwillig zu viel preisgibt, darf sich danach nicht wundern, was über ihn bekannt ist." Die moderne Informationstechnologie biete zwar viele Vorteile. Aber man müsse sich auch der Gefahr bewusst sein, dass jede Nutzung eine Spur hinterlässt, die letztlich die Gefahr herauf beschwört, dass das "Horrorbild des gläsernen Menschen" immer mehr Realität annimmt, so Holzinger bei der Präsentation des von VfGH-Sprecher Christian Neuwirth geschriebenen Buches "Durch den Dschungel der Gesetze".