Mit der Ankündigung, ein eigenes Computer-Betriebssystem zu entwicklen, hat Google eine Welle der Spekulationen um eine künftige Vormachtstellung in der Computerbranche losgetreten. Mit Chrome OS stößt der Suchmaschinenprimus direkt in das Kerngeschäft des weltgrößten Softwareherstellers vor: Das Windows-Betriebssystem ist traditionell die "Cash Cow" des Unternehmens. Doch ob der Rivale dem großen Schiff Microsoft mit dem neuen Vorstoß tatsächlich empfindlich zusetzen kann, bleibt abzuwarten.
Chrome OS sei zumindest vorerst nur "ein bisschen extra Salz in dem wachsenden Konkurrenzverhältnis zwischen Microsoft und Google", schätzt Al Gillen, Analyst bei dem Marktforschungsunternehmen IDC. Google hatte vergangene Woche die Ankündigung mit großen Worten begleitet. Chrome OS werde künftig auf Millionen von Computern weltweit laufen, verkündete Google-Chef Eric Schmidt. Man wolle das herkömmliche Betriebssystem abschaffen, hieß es. Ein "Anti-Betriebssystem" solle Chrome OS werden, das einen direkten Zugang ins Internet ohne lange Startphasen und Virenattacken ermöglicht.
Der von Schmidt angekündigte "Game Changer", der das Blatt im PC-Markt nachhaltig wenden könne, sei Chrome OS vorerst allerdings kaum, schätzt Gillen. Über die Jahre könne Google aber möglicherweise neue Marktsegmente bei kleinen Unternehmen und Konsumenten erschließen. Die öffentlich zelebrierte Rivalität der beiden IT-Giganten könnte sich in Sachen Chrome OS am Ende aber auch als "Sturm im Wasserglas" erweisen. Das jüngste Vorpreschen von Google sei zwar beachtenswert, es sei jedoch abzuwarten, welche Auswirkungen das Betriebssystem überhaupt langfristig auf den Markt haben kann, sagte Analyst Rob Enderle von der Enderle Group. Allerdings: Wenn Google die Vermarktung richtig angehe, könne es am Ende durchaus die Marktverhältnisse verändern, meint er.
Microsoft selbst gibt sich unterdessen betont gelassen. "Wir brauchen keine zwei Betriebssysteme, sondern mehr gute Anwendungen", sagte Microsoft-Chef Steve Ballmer vor rund 9.000 Software-Partnern auf einer Microsoft-Konferenz in New Orleans. Bis zum angekündigten Marktstart Ende 2010 sei es ohnehin noch lange hin, sagte Windows-Manager Bill Veghte. Bisher existierten von Chrome OS wahrscheinlich nicht viel mehr als ein paar Programmzeilen, über die man schwerlich spekulieren könne. "Eine Plattform wie ein Betriebssystem wird nicht an einem Tag gemacht."
Google konkurriert mit Microsoft bereits auf breiter Front mit einer ganzen Reihe von Anwendungen. Mit seinem Handy-Betriebssystem Android tritt Google gegen Microsofts Windows Mobile an. Mit Google Apps, einem Paket aus kostenloser Bürosoftware mit Textverarbeitung sowie Kalender- und E-Mail-Funktion über das Web, nimmt der Internet-Konzern Microsofts Office-Paket ins Visier. Google Chrome OS zielt schließlich auf das eigentliche Kerngeschäft von Microsoft ab. Mit dem Betriebssystem MS-DOS und seiner Vision von einem Computer in jedem Haushalt hatte Unternehmensgründer Bill Gates einst sein kleines Unternehmen zu einem Imperium ausgebaut.
Konter mit Office 2010
Inzwischen konterte Microsoft in dieser Woche mit seinem neuen Paket Office 2010. In der neuen Version zieht Microsoft bei der mobilen Web-Nutzung nach. Anwender können auf die Textverarbeitung Word, das E-Mail-Programm Outlook oder die Tabellenkalkulation Excel künftig in abgespeckter Form auch kostenlos über das Netz zugreifen. Auch mit der neuen Suchmaschine Bing setzt Microsoft derzeit zur Aufholjagd zu Google an.
Mit der Aufnahme von aktuellen Einträgen (Tweets) aus dem populären Kurznachrichtendienst Twitter hat das Unternehmen erstmals nach langer Zeit einen technologischen Vorsprung erreicht. Noch belege Bing nur einen winzig kleinen Teil des Marktes, räumte auch Ballmer. Mit der Neuauflage hat die Microsoft-Suchmaschine nach Angaben des Unternehmens aber im Juni bereits acht Prozent mehr Besucher verzeichnet.
Durch die vielfältigen Ambitionen läuft Google möglicherweise aber Gefahr, seine eigentlichen Unternehmensziele aus dem Auge zu verlieren. Google sei dabei, seine Ressourcen zu verschwenden, sagte Enderle. Damit setze das Unternehmen unter Umständen seine bis heute unangefochtene Marktstellung bei der Internet-Suche aufs Spiel. Keine der zahlreichen, vorwiegend gegen Microsoft gerichteten Entwicklungen haben sich für das Unternehmen in signifikanten Umsätzen ausgezahlt. Das eigentliche Geschäft macht Google nach wie vor ausschließlich mit Werbeeinnahmen, die das Unternehmen über seine Suchmaschine generiert.