Twitter-Revolution im Iran ist "westlicher Mythos"

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Der Mythos von der iranischen "Twitter-Revolution" wurde "durch die westlichen Medien erst erschaffen". Dies sagte der Blogger Hamid Tehrani, der sich intensiv mit dem Iran beschäftigt, in Linz. Tehrani setzte sich im Ars Electronica-Symposium "Cloud Intelligence" mit "Mythos und Realität" des Einflusses des sozialen Webs auf die iranische Protestbewegung auseinander.

Die iranische Protestbewegung habe mit ihrem Bürgerjournalismus einen "fantastischen Job gemacht", betonte Tehrani. Aber nicht alles, was im Westen zu lesen und zu sehen war, habe der Wahrheit entsprochen. Im Symposium thematisierte die Ars Electronica u.a. jene Macht, die politische Bewegungen über Online-Plattformen auf die reale Welt ausüben.

Gerade hierfür werden die Nachwahl-Proteste im Iran, bei der die Protestierenden Bilder, Videos und Berichte von Demonstrationen und Gewalt online stellten, gerne als Beispiel angeführt. Durch die Diskrepanz des online Gezeigten zu den offiziellen Berichten habe die iranische Regierung "jede Glaubwürdigkeit verloren", sagte Tehrani. "Selbst wenn die sagen, der Himmel ist blau, würden die Menschen ihnen das nicht glauben."

Doch haben die westlichen Medien die Vorgeschichte außer Acht gelassen: Die Iraner haben Online-Plattformen "schon Jahre lang für die Organisation von politischen Bewegungen oder auch für Alltägliches benutzt, bevor CNN das entdeckt hat", betonte Tehrani.

Ein paar Monate vor den Wahlen seien dann im Iran Facebook und Twitter entsperrt worden, um im Endeffekt "durch größere Wahlbeteiligung mehr Legitimation für die nächste Regierung zu bekommen", so Tehrani. Und erst diese im Westen bekannten Plattformen haben dann nach den Wahlen "die Protestbewegung unsterblich gemacht".

So werde der über Videoplattformen verbreitete Tod der Studentin Neda Agha-Soltan Symbol der gesamten Protestbewegung bleiben. "Die Opfer im Iran sind keine Zahlen mehr, sondern Gesichter. Und an diese wird man sich erinnern." Durch die internationale Aufmerksamkeit habe die iranische Republik "die Macht über ihre eigenen Symbole verloren. Märtyrer sind nun jene, die von der Islamischen Republik getötet werden." Das kann "nie wieder gut gemacht werden".

Gezielt Fehlinformation gestreut

Dabei sei im Westen oft "gerne übersehen" worden, dass zahlreiche zitierte Blogger Exil-Iraner waren, die "unverifizierte Information über die iranische Protestbewegung aus zweiter oder dritter Hand einfach weitergetwittert oder gebloggt haben", so Tehrani. Jedem, der etwa iranische Ortsgegebenheiten kennt, sei oftmals sofort klar gewesen, dass angegebene Zahlen von Protestteilnehmern nie auf den vorhandenen Platz gepasst hätten, sagt der in Europa lebende Tehrani, der auf http://soundsiranian.wordpress.com Ressourcen für genuine Information über den Iran international zugänglich machen will.

Westliche Medien könnten bei Online-Quellen aus dem Iran "leicht in Fallen tappen und dann Fehlinformation verbreiten", betont Tehrani. Und auch absichtlich von der iranischen Regierung oder ihr nahen Organisation gestreute Fehlinformation fand den Weg in die westlichen Medien.

Dabei haben diese westlichen Medien durchaus Einfluss auf die Ereignisse im Iran, sagte Tehrani: Gefangene berichteten, dass im Gefängnis genau beobachtet wurde, was internationale Medien über ihren Fall schrieben. Dass der Iran mittlerweile kaum mehr den Weg auf die Titelseiten wichtiger Zeitung findet, sei "tragisch". "Michael Jacksons Begräbnis scheint wichtiger zu sein", beklagt Tehrani.

Auch die eigenen Online-Aktivitäten spielen für die Verhöre in iranischen Gefängnis eine Rolle: Eine Bloggerin erzählte, dass der Leiter des Verhöres im Gefängnis all ihre Blog-Posts der vergangenen Jahre ausgedruckt hatte. Wie weit die sozialen Medien weiterführende Entwicklungen im Iran beeinflussen werden, sei schwer zu sagen, so Tehrani. Eine alte Form der Informationsverbreitung sei jedenfalls nicht zu stoppen: "Mund-zu-Mund-Kommunikation kann man nicht unterbinden."

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