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Ungarische Milchwirtschaft taumelt

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Gleichzeitig mit ihren Schicksalsgenossen aus anderen EU-Ländern demonstrierten ungarische Milchbauern dieser Tage in Budapest und in Luxemburg gegen Entscheidungen Brüssels, die sie für die ihrer Ansicht nach unerträgliche Situation in der Milchbranche verantwortlich machen. Der drastische Rückgang des Aufkaufpreises für Milch im letzten Jahr sei, so die Milchproduzenten, darauf zurückzuführen, dass Brüssel die Milchquoten erhöht habe. Der Aufkaufpreis von etwa 55 Forint (20 Cent) pro Liter könne nicht einmal zusammen mit der Subvention durch die EU die Selbstkosten eines Milchproduzenten in Höhe von mindestens 80 Forint decken.

Die ungarische Regierung, die seit Jänner 2009 bereits 2,5 Mrd. Forint für die Stützung der Milchbranche und der Viehhaltung aufgewendet hat, steht auch jetzt hinter den Forderungen der Milchbauern. Das Agrarministerium in Budapest scheut sogar vor protektionistischen Methoden nicht zurück, um die Interessen der heimischen Produzenten durchzusetzen: Mit den Händlern wurde vereinbart, dass die großen Lebensmittelmärkte ab 1. Juli zu 80 Prozent ungarische Produkte anbieten werden. Es fragt sich allerdings, ob sich die Händler an ihre Zusage halten werden, wenn sie in anderen EU-Ländern billiger einkaufen können.

Verlorene Absatzmärkte

Nach Meinung von Experten tragen die heimischen Produzenten mit Schuld an der jetzigen Situation. Vor zwei Jahren verkauften die ungarischen Milchbauern ihre Produkte lieber im Ausland, da sie dort bessere Preise erzielen konnten, zwangen aber dadurch den Handel dazu, die fehlende Menge an Milch aus der Slowakei einzuführen. Nun klagen sie über Verluste und wollen ihre Absatzmärkte zurück haben.

Die Produzenten leiden auch unter der Instabilität der ungarischen Währung. Der zuletzt wieder zu Kräften gekommene Forint macht die ungarischen Waren zu teuer für das Ausland, die Importe wiederum billiger, wodurch die Absatzmöglichkeiten der heimischen Produzenten weiter eingeschränkt werden.

Nicht minder betroffen sind die Viehzüchter, bei denen der in den vergangenen Jahren meist starke Forint eine negative Kettenreaktion auslöste. Die Viehhaltung konnte mit Billigimporten nicht konkurrieren, der Schweinebestand etwa schrumpfte deswegen von 9 bis 10 Millionen vor 20 Jahren auf heute lediglich 3,5 Millionen Schweine, was wiederum zu einem Fleischmangel im Land führte. Die Fleischverarbeitungsbetriebe mussten deshalb zu Importen greifen, die durch den inzwischen schwächeren Forint teurer geworden waren, konnten ihre Absatzpreise jedoch infolge der geringeren Nachfrage nicht erhöhen. So musste eine ganze Reihe von Fleischbetrieben, darunter beispielsweise die traditionsreiche Salamifabrik Herz, Konkurs anmelden.

Das größte Problem für die ungarischen Landwirte sind die versiegenden Finanzquellen, zumal in der Wirtschaftskrise auch die Banken vorsichtiger bei der Kreditvergabe geworden sind. Allein die Förderungen durch die EU können die schwierige Situation mildern, aber nach Ansicht von Experten kaum alle Probleme beseitigen. Während im vorigen Jahr die Landwirtschaft positiv zur Entwicklung des ungarischen BIP beigetragen hatte, wird sie heuer die gesamte Wirtschaftsleistung vermutlich um 1 Prozent nach unten drücken. Die jüngste Analyse des Wirtschafts-Forschungsinstitutes GKI prognostiziert für 2009 einen 20-prozentigen Rückgang in der Landwirtschaft. Das Forschungsinstitut Kopint-Tarki ist etwas weniger pessimistisch und erwartet einen Rückgang um 10 bis 15 Prozent.

Ende April war Agrarminister Jozsef Graf noch recht zuversichtlich gewesen, als er meinte: "Die Landwirtschaft ist von der Wirtschaftskrise weniger betroffen als die anderen Wirtschaftszweige. Jeder Mensch muss essen, die Agrarprodukte sind unelastische Waren, deren Konsum nur begrenzt verringert und nicht, wie z.B. der Autokauf, hinausgeschoben werden kann. Deshalb kann die Rezession in der Agrarwirtschaft keinesfalls groß sein."

Der Optimismus des Ministers schien durch die Exportbilanz 2008 gerechtfertigt zu sein: Die ungarischen Agrarexporte erreichten im vorigen Jahr einen Rekordwert von 5,7 Mrd. Euro, gegenüber Importen in Höhe von 3,8 Mrd. Euro. Auch bestätigten sämtliche Prognosen die Hoffnung der Experten, dass die Landwirtschaft ein Flagschiff der ungarischen Wirtschaft sein und einen Ausweg aus der Krise bedeuten könne.

Probleme durch extremes Wetter

Damit, dass das extreme Wetter der letzten Monate mit Dürre und Hagel noch einen Strich durch die Rechnung der Landwirte machen könnte, hatte man nicht gerechnet. Im ersten Quartal 2009 erreichten die Leistungen in der Landwirtschaft bereits den tiefsten Stand seit dem Jahr 2000, der Wert der Agrarproduktion betrug 85,35 Mrd. Forint, was im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres einem 9,8-prozentigen Rückgang entspricht.

Experten des Landesverbandes der Getreideproduzenten prognostizieren wegen der lang anhaltenden Dürreperiode einen 30-prozentigen Rückgang bei der Weizenernte. Anstatt der 5,5 Mio. Tonnen im Vorjahr dürften heuer höchstens 3,5 bis 4 Mio. Tonnen eingebracht werden. Bei den anderen Getreidearten werden ähnliche Verluste erwartet. Während im vorigen Jahr auf einer gesamten Anbaufläche von 1,6 Mio. Hektar insgesamt 7,7 bis 7,8 Mio. Tonnen Getreide geerntet werden konnten, werden es heuer auf gleicher Fläche wahrscheinlich nur 5,4 Mio. Tonnen sein. Den Verlust schätzt man bei Getreide auf rund 80 Mrd. Forint. Der vom Ministerium mit 5 Mrd. Forint dotierte so genannte Vis-Major-Fonds wird diese Einbußen nicht kompensieren können.

Der ungarischen Landwirtschaftskammer machen allerdings außer den schlechten Ernteaussichten auch die dadurch entfallenden Saisonarbeitsmöglichkeiten Sorgen. Wie Experten der Kammer meinen, dürfe man die derzeitige Situation in der Agrarwirtschaft nicht nur als eine Frage der Produktion und des Marktes betrachten, da es sich zugleich um ein ernsthaftes soziales Problem handle.

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