Grasl als "teuerster ORF-Transfer aller Zeiten"

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Richard Grasl (36), Chefredakteur im ORF-Landesstudio Niederösterreich, war bereits für vieles im ORF und außerhalb im Gespräch: "Report"-Chef, TV-Chefredakteur, Radio-Chefredakteur, Informationsdirektor, geschäftsführender "Kurier"-Chefredakteur - tatsächlich dürft er nun neuer Kaufmännischer Direktor des öffenlich-rechtlichen Senders werden.

Nach der SPÖ-ÖVP-Einigung auf ein neues ORF-Gesetz, einer 160 Mio. Euro schweren Gebührenrefundierung und dem Rücktritt der bisherigen Kaufmännischen Direktorin Sissy Mayerhoffer ist Grasl nicht nur Wunschkandidat der ÖVP, sondern auch jener von ORF-Chef Alexander Wrabetz und hat damit beste Chancen am 17.12. vom ORF-Stiftungsrat in die neue Funktion gewählt zu werden.

"Ich kenne den Wunsch von Generaldirektor Wrabetz, mich in diese Funktion zu holen, und werde mich daher dafür bewerben", so Grasl am 17.11. Anfang des Jahres sah der Niederösterreicher noch gar nicht wie ein Wunsch des ORF-Chefs aus, als Wrabetz meinte, dass "8 ORF-Landesstudios hervorragend, vollkommen unbestritten objektive Arbeit in der politischen Berichterstattung leisten". Auch wenn Wrabetz es nicht offen aussprach, galt die Spitze dem ORF-Landesstudio Niederösterreich, dem am Küniglberg eine zu große Nähe zur ÖVP, insbesondere zum dominanten Landeshauptmann Pröll nachgesagt wird.

Das war zu jener Zeit, als Grasl noch ÖVP-Favorit für den Posten des Informationsdirektors war, und TV-Chefredakteur Karl Amon von der SPÖ als Generaldirektor ins Spiel gebracht wurde. Amon hätte freilich "nicht mit einem TV-Direktor Grasl leben" wollen, wie er intern erklärt hatte.

ÖVP dementiert "Gegengeschäft"

Dass Wrabetz sehr wohl mit Grasl als Kaufmännischem Direktor leben kann, dürfte vor allem mit den finanziellen Bedürfnissen des Senders zu tun haben. Grasl zieht mit 160 Mio. Euro Gebührenrefundierung im Rucksack auf den Küniglberg. Medien berichteten, dass die ÖVP der Gebührenrefundierung nur unter der Bedingung zugestimmt habe, dass Grasl ins ORF-Direktorium aufrücke.

Vom teuersten ORF-Transfer aller Zeiten ist deshalb die Rede, und Grasl muss sich im ORF Vergleiche mit dem Fußballer Christiano Ronaldo gefallen lassen. Für dessen Engagement - zugleich der teuerste Fußball-Transfer aller Zeiten - blätterte Real Madrid "bloß" 93 Mio. Euro hin. In der ÖVP wird ein Gegengeschäft Gebührenrefundierung gegen Grasl-Aufstieg aber ohnehin vehement in Abrede gestellt und als "Unsinn" bezeichnet.

Grasl wurde am 21. Jänner 1973 in St. Pölten geboren und ist in Krems aufgewachsen, wo seine Eltern das Gasthaus zum Goldenen Kreuz führten. Er maturierte 1991 und studierte danach in Wien Handelswissenschaften mit dem Spezialgebiet Unternehmensführung und Controlling. 1997 schloss er mit dem Magister-Titel ab. Grasl hat in einer Schweizer Unternehmensberatung sowie bei einem österreichischen Steuerberater in der Wirtschaftsprüfung gearbeitet.
Bereits mit 16 Jahren schrieb er für den Sport der Kremser Zeitung seinen ersten journalistischen Artikel. Mit dem ORF kam Grasl erstmals 1992 im Landesstudio Niederösterreich in Berührung. Nahezu zeitgleich wurde Erwin Pröll niederösterreichischer Landeshauptmann. 1997 wurde Grals im ORF angestellt, moderierte 1998 sein erstes "Niederösterreich heute" und wurde Chef vom Dienst. Von 1999 bis 2001 wechselte er in die Wiener Zentrale, wo er bei der "Zeit im Bild 2" gemeinsam mit Gerald Gross für die Innenpolitik zuständig war. Mit gerade 29 Jahren bestellt die ehemalige ORF-Chefin Monika Lindner Grasl 2002 zum Chefredakteur des Landesstudios Niederösterreich.

Erstmals Journalist auf diesem Posten

Mit Grasl dürfte erstmals ein Journalist die kaufmännischen Agenden des ORF übernehmen. Dank seines Wirtschaftsstudiums verfügt Grasl aber auch über wirtschaftlichen Background, den er angesichts der schwierigen Finanzsituation des ORF als Kaufmännischer Direktor gut gebrauchen kann. Grasl gilt nicht nur als handwerklich ausgezeichneter Journalist, auch seine Management-Fähigkeiten werden geschätzt. Das Landesstudio Niederösterreich zählte zu den ersten ORF-Bereichen, in denen der "trimediale Newsroom" getestet wurde, der Fernsehen, Radio und Internet miteinander verbinden soll.

Kritik gab es hingegen immer wieder an der inhaltlichen Ausrichtung des Landesstudios. "Landeshauptmann-TV" und zu große Nähe zum politischen Übervater Erwin Pröll lauteten die Vorwürfe. Pröll erhalte mehr Sendezeit als jeder andere Landeshauptmann in einer "Bundesland heute"-Sendung, und die ORF-Journalisten folgten dem Landesfürsten zu unzähligen Spatenstichen, Kreisverkehrseröffnungen und Weinverkostungen.

"Der Landeshauptmann trifft in Niederösterreich alle politischen Entscheidungen. Diese Wirklichkeit kann ich nicht beeinflussen. Bei uns hat Erwin Pröll überhaupt nichts mitzureden", wies Grasl solches zurück. Leute, die "Niederösterreich heute" nicht kennen, würden Klischees bedienen. Er habe sich jedenfalls keinem politischen Druck ausgesetzt gefühlt. "Für uns ist der Inhalt die Botschaft, es sind nicht die Wünsche von Entscheidungsträgern." Den Zuschauern scheint es zu gefallen. Im ersten Halbjahr 2009 konnte "Niederösterreich heute" seinen Marktanteil gegenüber dem Vorjahr um drei Prozentpunkte auf 51 % steigern, der beste Wert seit 2005.

In NÖ bestens vernetzt

Grasl lernte freilich auch die reschen Seiten des Landeshauptmanns kennen. Nach der ÖVP-Niederlage bei der Nationalratswahl 2006 schnaubte Pröll den Chefredakteur vor laufenden Kameras wegen dessen kritischer Fragen an, dass gleich er zum Bundespräsidenten gehen solle, wenn er schon so gescheit sei. Nach der Sendung hat Pröll Grasl laut Augenzeugen ein Privatissimum erteilt und bei einem Glas niederösterreichischer Landessäure gefragt, "Richard, was willst denn noch werden?"

In Niederösterreich ist Grasl bestens vernetzt. Auf seiner Hochzeit in Dürnstein tanzten Pröll und andere Honoratioren des Landes an, Grasl hat den Jagdschein, was in dem von Raiffeisen geprägten Bundesland grundsätzlich kein Nachteil ist, übernahm Weinpatenschaften, wurde zum kulinarischen Botschafter des Bundes österreichischer Gastlichkeit gekürt und entspannt abseits von Journalismus und Repräsentationspflichten am Golfplatz.

Für die ÖVP gilt Grasl nun offenbar als ORF-Zukunftshoffnung. In der Position des Kaufmännischen Direktor soll der Niederösterreicher mit dem guten Draht zu den Prölls nicht nur personalpolitische Weichenstellungen im Sinne der Bürgerlichen treffen, sondern auch als möglicher Nachfolger von ORF-Chef Alexander Wrabetz positioniert werden, so die hochgesteckten ÖVP-Erwartungen.

Mit Wrabetz schaffte zuletzt schließlich schon einmal ein Kaufmännischer Direktor den Sprung an die Spitze des Unternehmens. In der Kaufmännischen Direktion wird Grasl freilich von einem ausgeprägten Wrabetz-Netzwerk umzingelt sein, das den Newcomer unter Beobachtung stellen wird. Als seinen größten Traum nannte Grasl einmal "einen hohen Berg besteigen, weil ich nicht schwindelfrei bin". Fürs Erste muss er sich mit der Herausforderung Küniglberg begnügen.

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