Im Weinviertel wird noch immer Erdöl gefördert

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Ein Lokalaugenschein in Neusiedl an der Zaya: Wie die Ölförderung in 40 Jahren eine Region ernährte. Und veränderte.

Draußen ist es grauslich kalt, der Regen wird von Windböen über die einsame, gleichförmig hügelige Landschaft des nordöstlichen Weinviertels gepeitscht. Drinnen freut sich Bürgermeister Josef Schweinberger auf die Pension. Noch ein paar Arbeitstage, dann Resturlaub; da kräuseln sich unweigerlich die Mundwinkel. 12 Jahre Amtszeit sind fast vorbei. Dass er als Chef einer Erdöl-Gemeinde in den Ruhestand treten würde, damit war wirklich nicht zu rechnen. Immerhin hat es ja schon vor 10 Jahren geheißen, mit dem Schwarzen Gold made in Austria gehe es zu Ende. Gebohrt wird aber immer noch, obwohl vom Reichtum früherer Zeiten nichts geblieben ist.

Aus den Werbeprospekten der 60er und 70er Jahre strahlen nur fröhliche Gesichter, perfekt gepflegte Straßen, blitzblank polierte Hausfassaden und jede Menge fleißige Arbeiter, die ihren glücklichen Frauen und Kindern mit dem Job bei der ÖMV einen Lebenstraum erfüllt haben: Eigenheim, Garten, Auto, Urlaub. Wer damals nicht in Neusiedl wohnte oder nicht dorthin ziehen wollte, war selber schuld. 2.000 Angestellte zählte die Dependance des Mineralölkonzerns, und die Förderpumpen surrten dazu feierlich im nicht enden wollenden Gleichklang.

Richard Keith van Sickle, der das Bohrgeschäft im rumänischen Banat gelernt hatte, stieß im Dezember 1929 auch in Neusiedl auf unterirdische Ölfelder. Von da an wandelte sich das unbedeutende Dorf, in dem Jahrhunderte lang ärmliche Bauern kargen Boden beackerten und nach Missernten Hunger leiden mussten, in das "Dallas des Weinviertels". "In dieser Goldgräberzeit haben wir alles angeschafft, was man nicht braucht. Man hat damals scheinbar nicht gewusst, wohin mit dem Geld", schüttelt Schweinberger ein bisserl neidisch den Kopf. Die prall gefüllte Gemeindekassa, der Traum jedes Bürgermeisters, war damals Alltag in Neusiedl.

In den vergangenen Jahren hatte der Ruheständler in spe alle Hände voll zu tun, um die Errungenschaften seiner Vorgänger wieder loszuwerden: Der riesige Springbrunnen vor dem Rathaus wurde geschliffen, ebenso der Minigolfplatz hinter dem Hallenbad, das nun zur Garage für die Feuerwehrautos umfunktioniert wird. Eislaufplatz gibt es keinen mehr, auch der Skilift am südlichen Ortsende, den man sich einst eingebildet hatte, wurde mangels Sinnhaftigkeit abmontiert. Und das kalorische Kraftwerk, in dem sich die erste Gasturbine Europas drehte, hat man vor zwei Jahren gesprengt. Einzig das Erdölmuseum steht noch.

Auf den ersten Blick ähnelt Neusiedl heute wieder seinen Nachbarn, allesamt traurige, verlassene Dörfer, denen viele Bewohner wegen zu spärlicher Infrastruktur und Perspektiven abhandengekommen sind. Die Einwohnerzahl ist um ein Drittel zurückgegangen, von den ehemals 2.000 Erdöl-Arbeitern sind elf übrig geblieben. "Das hat schon wehgetan", sagt der Bürgermeister , selbst einmal stolzes Mitglied der ÖMV-Belegschaft. Neben dem Wappenspruch ("Wein, Öl, Brot") gibt Schweinberger ein neues Motto aus: "Totgesagte leben länger." Er erinnert sich an die Jahrtausendwende: "Wir waren hier echt kurz vorm zusperren. Doch dann hat Herr Putin am Ölhahn gedreht und schon war Europa in Panik."

Der russische Präsident als Defibrillator der Weinviertler Erdölförderung. Vielleicht hat ihm ja ein unterbewusstes Schuldgefühl einen Streich gespielt, immerhin hat die sowjetische Besatzung in den 50er Jahren bis zu 3,2 Mio. t Erdöl pro Jahr aus dem Boden rund um Neusiedl pumpen lassen. "Davon ist nur der Teil bei uns geblieben, der beim Befüllen der Tanks drübergeronnen ist. Aber man darf nichts sagen, sie haben sich sehr um unsere Leute gekümmert."

Aus den 3,2 Mio. t sind mittlerweile 80.000 geworden. Effizienz durch moderne Technik sei der Schlüssel zur Zukunft, die meisten Bohrungen verlaufen wieder erfolgreich, sagt Schweinberger. "Wenn sich der Ölpreis zwischen 80 und 100 Dollar einpendelt, sind die nächsten zehn Jahre in Neusiedl gesichert." Aber wirklich verlassen will er sich auf das Erdöl nicht mehr. Auf den Brachen soll möglichst bald ein Industrie- und Gewerbepark entstehen; die Wände im Bürgermeisterbüro sind mit Plänen tapeziert. Außerdem freut er sich auch auf die Fertigstellung der A5: "Dann sind's zur Autobahn nur noch sechs Kilometer."

Neusiedl bricht in aller Bescheidenheit in ein neues Zeitalter auf, ohne Reichtum. Prestigeträchtigen Firlefanz kann sich hier niemand mehr leisten. In den Bohrtürmen, die man malerisch auf den freien Flächen im Ort drapiert hat, stehen Skulpturen internationaler Künstler. Und auf den Hügeln, gleich hinter den Pumpen, die langsam und träge ihr Werk verrichten, stehen schon deren Nachfolger bereit und lassen ihre riesigen Arme im Wind kreisen.

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