Österreichische Fachleute erwarten vom Klimagipfel in Kopenhagen bestenfalls eine politische Absichtserklärung, jedoch kein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll. Neben konkreten Zielen zur Reduktion von Treibhausgasen wäre es auch wichtig, dass man sich auf eine finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer einigt und dass der Vertrag völkerrechtlich verbindlich ist, sagte Wifo-Experte Stefan Schleicher auf APA-Anfrage.
Stephan Schwarzer, Chef der Umweltabteilung in der Wirtschaftskammer (WKO), gab zu bedenken, dass auch am Kyoto-Regime fünf Jahre gearbeitet wurde. "Es muss so viel rauskommen, dass am Schluss über die Kosten gejammert wird", meinte Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer.
Schwarzer fände ein politisches Agreement über die Senkung des CO2-Ausstoßes "immer noch sehr wertvoll", wobei sich vor allem die großen Treibhausgasemittenten China, USA und Indien zum Klimaschutz bekennen müssten. "Das schlimmste wäre, wenn sich nur ein kleiner Teil der Welt ein Korsett anschnürt", sagte er zur APA. Die EU verfolge ohnehin ihre eigenen Klimaziele bis 2020. Hinzu komme, dass die USA viel leichter Energie einsparen könnten als Europa. Der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß der US-Amerikaner sei jährlich etwa doppelt so hoch wie jener der Europäer.
Am meisten Reduktionspotenzial haben die Schwellen- und Entwicklungsländer, so Bruckbauer. Investiere man in China einen Dollar in Umweltschutz, habe dies einen stärkeren Effekt als in den USA. Weil Schwellenländer schlechtere Technologien haben, könnten sie also ihren CO2-Ausstoß billiger reduzieren. Die jüngsten Zusagen Chinas seien nicht zuletzt dem hohen Ölpreis zu verdanken, so der BA-Chefvolkswirt. Würde das Schwarze Gold 20 Dollar je Barrel (159 Liter) kosten, "würde sich niemand Gedanken machen". (Derzeit liegt der Ölpreis bei etwa 77 Dollar, Anm.) Schleicher findet Chinas Ankündigung, die Treibhausgase, die für jeden Yuan Wirtschaftsleistung emittiert werden, bis 2020 um 40 bis 45 Prozent gegenüber 2005 senken zu wollen, dennoch "nicht sehr ambitioniert".
Technologie- und Geldtransfer notwendig
Ohne einen Technologietransfer und das nötige Geld dafür seien arme Länder nicht dazu in der Lage, umweltschonender zu produzieren, sagte der Wifo-Experte. Nach EU-Schätzungen werden die ärmsten Länder ab 2020 100 Mrd. Euro jährlich für Maßnahmen zur CO2-Reduktion brauchen. Über die Finanzierung werde in Kopenhagen "sicherlich kein Beschluss fallen." Schon innerhalb der EU herrsche darüber Uneinigkeit.
Schleicher vermutet, dass das neue Klimaschutzabkommen "wesentlich unverbindlicherer" wird als der völkerrechtlich bindende Kyoto-Vertrag. Die USA seien innenpolitisch nicht in der Lage, derartige Ziele zu unterzeichnen. Schwarzer zufolge wäre es aber "auch nicht besser, wenn US-Präsident Barack Obama jetzt vorschnell zusagt und dann vom Senat keine Zustimmung bekommt". Die USA hätten zwar das Kyoto-Protokoll unterschrieben, aber nie ratifiziert. Ganz pragmatisch bewertet das Bruckbauer: "Wenn am Ende für die USA etwas Negatives rauskommt, tun sie's nicht." Im Gegensatz zu Deutschland sei Amerika nämlich "nicht altruistisch".
Wenn nicht sobald wie möglich etwas gegen den Klimawandel unternommen wird, könnte das fatale volkswirtschaftliche Folgen haben. Der berühmte "Stern-Report" schätzte die jährlichen Kosten auf fünf bis 20 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung - wenn nicht gehandelt wird. Umgekehrt müsste für die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Treibhausgase nur ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufgewendet werden. Wenn nichts getan wird, müssten beispielsweise Millionen von Menschen umquartiert und die globale Nahrungsmittelproduktion umgestellt werden, warnte Schleicher.
Auswirkungen in Österreich
Auch in Österreich würde sich einiges verändern. Das Zurückgehen der Gletscher hätte gravierende Auswirkungen auf Landwirtschaft und Tourismus. Werden Wasser nicht mehr in Form von Schnee und Eis gespeichert, steigt die Hochwassergefahr. Die Wasserkrafterzeuger würden die fortschreitende Erderwärmung ebenfalls zu spüren bekommen. "Die ganze Infrastruktur - jede Straße und jede Bahnstrecke - müsste neu überlegt werden", so Schleicher.
Mit den schon jetzt verheerenden Naturkatastrophen muss sich besonders die Versicherungsbranche auseinandersetzen. Im Sommer 2009 kam es auch in Österreich zu Extremwetterlagen wie Sturm, Hagel und Hochwasser. Allein bis Ende Juli mussten die Assekuranzen inklusive Hagelversicherung für Schäden in der Höhe von rund einer halben Milliarde Euro aufkommen. Beim "Jahrhunderthochwasser" 2002 waren Schäden in der Höhe von 420 Mio. Euro versichert, der volkswirtschaftliche Gesamtschaden belief sich auf drei Mrd. Euro, so Daniela Ebeert vom Versicherungsverband Österreich (VVO) auf APA-Anfrage.
In den Augen Schleichers ist jetzt auch Österreichs Politik gefordert. Beim öffentlichen Verkehr seien "energische Schritte" zu setzen und das Thema erneuerbare Energien müsse man "neu zu überdenken". Auch im Gebäudebereich - Stichwort thermische Sanierung - sei einiges zu tun. Schwarzer konstatierte: "Jeder wird seinen Beitrag leisten müssen."
"Grüne Unternehmenslobby" notwendig
Wenige Tage vor dem Klimagipfel in Kopenhagen hat Erik Rasmussen, Gründer des Copenhagen Climate Council und Chefredakteur der Zeitschrift "Monday Morning", an Firmen appelliert, in puncto Umweltschutz Druck auf die Politik auszuüben. "Wir brauchen etwas wie eine aggressive grüne Unternehmenslobby." Von Kopenhagen erwartet er sich nicht mehr als ein politisches Übereinkommen.
Dabei wären ambitionierte Klimaschutzziele bitter nötig, sagte Rasmussen beim "Telekom Austria Klimadialog 2009" per Videobotschaft. Selbst wenn die im Vorfeld des Gipfels angekündigten Maßnahmen umgesetzt werden würden, würde sich die Erde um 3 Grad erwärmen. Damit wäre das Ziel, den Anstieg der globalen Erwärmung auf 2 Grad gegenüber vorindustriellen Temperaturwerten zu beschränken, überschritten. Unternehmen sollten jetzt die Gelegenheit nutzen, in Klimaschutz zu investieren, so Rasmussen.
Auch John Elkington, Mitbegründer von Volans und SustainAbility sowie ehemaliges Mitglied des World Economic Forum, forderte Firmenchefs auf, beim Umweltschutz eine führende Rolle zu übernehmen. Noch immer gebe es eine große Diskrepanz zwischen der Dringlichkeit, etwas gegen den wachsenden CO2-Ausstoß zu unternehmen und tatsächlichen Handlungen. Selbiges konstatierte auch Umweltminister Nikolaus Berlakovich (V). In Österreich werde im Verkehrs- und Raumwärmebereich sowie in Teilen der Wirtschaft nach dem Motto "Klimaschutz Ja. Wir? Nein" gehandelt. Motivforscherin Sophie Karmasin erklärt sich das folgendermaßen: In den Köpfen der Österreich "ist die Klimabedrohung emotional noch nicht angekommen", daher müssten für Energieverschwender soziale Sanktionen her.
Berlakovich ist bezüglich des Kopenhagener Gipfels jetzt "optimistischer" als noch vor einigen Monaten. "Es ist das Moment der Verhandlung da." Der Minister rechnet mit einem "verbindlichen Abkommen" - dass es allerdings auch völkerrechtlich verpflichtend wird, "bezweifelt" er. Das kürzlich von China genannte Ziel, seine Treibhausemissionen für jeden erwirtschafteten Yuan bis 2020 um 40 bis 45 Prozent zu senken, ist für Berlakovich "in Wahrheit klimapolitisch ein Fake".
Deutschland will Erfolge sehen
Wenige Tage vor Beginn des Weltklimagipfels in Kopenhagen drängt Deutschland auf massive Anstrengungen im Kampf gegen die Erderwärmung aufgerufen. "Wir brauchen eine Einigung, die uns den Weg zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels eröffnet und eine internationale Vereinbarung vorsieht, ob die Verpflichtungen der einzelnen Länder auch wirklich eingehalten werden", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Berliner "Tagesspiegel".
Dazu müsse und solle in Kopenhagen ein klares Bekenntnis abgelegt werden. Es müsse auch klar sein, dass auf dieser Grundlage möglichst im ersten Halbjahr 2010 ein rechtlich bindendes Abkommen mit international verpflichtenden Zielen vereinbart werde.
Bei dem Gipfel vom 7. bis 18. Dezember in der dänischen Hauptstadt soll über eine Nachfolgeregelung für das 2012 auslaufende Abkommen von Kyoto beraten werden. Die Verhandlungen sind im Vorfeld vor allem in der Frage festgefahren, in welchem Umfang die Industrienationen als große Klimaverschmutzer den Entwicklungs- und Schwellenländern unter die Arme greifen sollen.
Gastgeber Dänemark hat vorgeschlagen, den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase bis 2050 um 50 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Den Löwenanteil der Kürzungen sollen dabei die wirtschaftlich stärkeren Staaten tragen.