Komplexitätsforscher sieht noch offene Fragen zu Omikron-Subtyp, für Bevölkerung mittelfristig aber Weg aus "Dauerkrisenmodus"
Die Wahrscheinlichkeit, dass es durch die vielen Omikron-Infektionen zu dem gefürchteten Zusammenbruch im Gesundheitssystem kommt, hat sich für den Komplexitätsforscher Peter Klimek zuletzt deutlich reduziert. Als "große Unsicherheit" in den nächsten Wochen bezeichnete er im Gespräch mit der APA aber die Entwicklung bei der Omikron-Untervariante BA.2. Mittelfristig müsse die Bevölkerung wahrscheinlich nicht mehr im "Dauerkrisenmodus" verharren, die Politik aber schon.
Durch BA.2 könnte eine Art Welle in der Omikron-Welle entstehen, die die Zahlen vielleicht noch länger auf hohem Niveau stabilisiert, oder sie sogar noch einmal anhebt. Darum spreche man aktuell auch vom "vorläufigen Höhepunkt". Je stärker der Subtyp schon im aktuellen Infektionsgeschehen mitmischt, umso eher sei davon auszugehen, dass die weitere Entwicklung weniger dramatisch wird. Ist dem aber nicht so, würden Daten aus Dänemark zeigen, dass "wir da noch Raum für Dynamik haben", so Klimek, der Teil des Covid-Prognosekonsortiums ist.
Plateau bei den Neuinfektionen
Im Konsortium geht man nun von einer Art Plateau bei den Neuinfektionen aus. Diese bleiben demnach voraussichtlich nächste Woche noch ungefähr auf dem hohen Niveau der aktuellen Woche. In den Normalstationen dürften die Belegungszahlen noch etwas weiter hinaufgehen, auf den Intensivstationen "sehen wir, dass sich kaum etwas tut", sagte der Wissenschafter.
In Wien sehe man momentan eine höhere Belastung auf den Normalstationen, die aber noch nicht an die bisherigen Höchststände in der Pandemie heranreicht. "Wenn sich jetzt nochmals eine BA.2-Welle auf die BA.1.-Welle draufsetzt, macht das die Situation nicht besser." Allerdings ist eine stärkere Auslastung der Normalstationen nicht mehr so dramatisch wie das Damoklesschwert der komplett ausgelasteten Intensivstationen. Wo hier in Österreich die Belastungsgrenze liegt, könne man schwer sagen. Sie könne aber recht hoch sein, weil es hierzulande doch relativ viele Spitalsbetten gibt.
Lage ein Stück weit entspannt
Ebenfalls dänische Daten zeigen, dass dort zwar die Normalstationen-Zahlen weiter anwachsen, die Covid-19-Patienten in Intensivbetten aber weniger werden. Vereinfacht gesagt sorgt dort Omikron für mehr Normal-Belag, während die Anzahl der Menschen, die noch durch die Delta-Variante in die Intensivbetreuung kamen, sinkt.
Die Gesamtsituation sieht Klimek ein Stück weit entspannt, "auch weil wir in Österreich vermutlich kaum noch jemanden haben, der immunologisch naiv ist". Auch die neben den Impfungen mittlerweile verfügbaren antiviralen Therapien tragen dazu bei, dass "viele Zeichen in die Richtung zeigen, dass einfach dieses gesellschaftskritische Element - der Zusammenbruch des Gesundheitssystems - weniger wahrscheinlich wird". Andere Länder seien hier mit höheren Impfquoten und Durchseuchungsraten noch ein Stück weiter und können deshalb auch wieder Maßnahmen aufheben. Wann man diesen Weg in Österreich gehen kann, sei noch mit "Unsicherheitsfaktoren" behaftet.
Dauerkrisenmodus beenden
Die Gesellschaft müsse wahrscheinlich nicht mehr im Dauerkrisenmodus bleiben. "Wen wir aber im Krisenmodus halten müssen, ist die Politik", so der Wissenschafter. Klar sei, dass man spätestens in Richtung Herbst die Immunisierungsraten und das Infektionsgeschehen gut im Auge haben müsse, um nicht mit einer eventuellen neuen Variante wieder in eine schwierige Situation zu geraten. "Wir müssen irgendwie Fühlung behalten, wie viel zirkuliert", sagte Klimek. Dazu brauche es nicht unbedingt das momentane Testsystem, sondern das in Österreich gut ausgebaute Abwasser-Monitoringsystem, das auch einen Blick auf das Aufkommen neuer Varianten erlaubt.
Schafft man es, hier einen guten Überblick zu bekommen, "bin ich zuversichtlich, dass man für viele Szenarien besser gerüstet ist". Lässt die Politik aber wieder das Bild aufkommen, dass man hierzulande nach Omikron "eh nichts mehr tun muss, dann kann man schon ein entsprechendes Problem im Herbst entwickeln". Klimek: "Wenn man sagt: 'Es ist nicht mehr gesellschaftskritisch', heißt das aber nicht, dass es nicht gemanagt werden muss."