Buchvorstellung

Das 2. Kapitel zum Nachlesen

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Werner Schneyers neues Buch "Krebs" - Das 2. Kapitel

Das 2. Kapitel: Der Befund, der See, der grobe Arzt

Wir sehen aus der Küche das Auto des Arztes kommen. „Ich habe Krebs“, sagt sie.
Der Arzt wohnt eine Autostunde von unserem Haus und – wie ich immer sage – unserem See. Er hätte angerufen, wenn es nicht etwas zu sagen gäbe, was man einem nur ins Gesicht sagen kann. Habe ich Krebs?, fragt sie pro forma.
Ja. Es ist ein ganz aggressiver Tumor, sagt der Arzt. Er heißt Rainer und ist ein Freund. Jetzt sagt er, er, der ihr so oft und oft das Rauchen verboten hat: Jetzt rauchst du erst einmal eine.
Ja, sagt sie und saugt.

Die Frage, ob dieser Rauch an allem Schuld trägt, stellt keiner. Wozu noch?
Es ist später Abend. Durch die breite Glastür des Wohnzimmers sehe ich hinter dem Balkon den nächtlichen See. Den See unserer vielen Sommer. Im Haus unserer Liebe zum See.
Du bist morgen um sieben Uhr in der Früh im Krankenhaus angemeldet, sagt Rainer, ich habe alles bestellt.
Er meint das eine weitere Autostunde entfernte Krankenhaus der Landeshauptstadt.

Das kommt nicht in Frage, sage ich. Sie muss auf die Universitätsklinik. Sie muss zum – und jetzt fällt mir der Name des Krebspapstes nicht ein, der immer im Fernsehen diskutiert hatte, als es galt, einen von seinen Wahnideen besessenen Wunderheiler in die Schranken zu weisen.
Rainer akzeptiert meinen Einspruch nicht: Ich würde sie in einige Abteilungen dieses Krankenhauses nicht schicken, aber der Primarius der Urologie ist ein Ausnahmekönner. Da kommen Leute von überall her, um sich von dem operieren zu lassen.
Es ist ein Blasenkrebs. Sie raucht. Wir schweigen. (…)

Nach zwei Stunden war sie wieder da. Aus dem Auto stieg eine Tote. Das hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen: eine stehende, sprechende Tote, an ihr Auto gelehnt. Sie erzählte, der niedergelassene Urologe sei ein grober, unhöflicher Mensch gewesen, hätte die Untersuchung bald abgebrochen mit der Begründung, die Blutung sei so stark, da könne er mit den Möglichkeiten seiner Praxis nichts sehen und erkennen, eine Untersuchung im Krankenhaus der Kreisstadt sei erforderlich.
Dort war der Mann extern für Urologie zuständig.
Es gäbe nachmittags auch schon einen Termin, sagte sie. Auf der Fahrt nach Hause hätte sie zweimal einfach nicht mehr weitergekonnt, hätte sie stehen bleiben müssen.

Du fährst am Nachmittag auch nicht mit dem Taxi, da bringt dich die Rettung hin, die ich jetzt sofort bestelle, da fahre ich auch mit, sagte ich zu der Toten, die es ganz langsam aufhörte zu sein. Ich wollte sie auf den Balkon führen, ein beruhigendes Glas Rotwein einschenken, sie aber fragte, ob es in der Zwischenzeit einen wichtigen Anruf gegeben hätte. Sie wird mich noch vom Totenbett aus fragen, ob ich nicht vergessen hätte, heute nur die halbe Tablette zu nehmen, dachte ich mir. Sie wird sich um mich kümmern, solange sie atmet. Was kann ich für sie tun? Freilich, ich habe immer etwas getan für uns, für unser beider Leben. Ich war fleißig, bald auch erfolgreich, ich habe Geld verdient, wir konnten wunderbar leben. Aber all das hatte ich für uns getan. Was für sie?
Nein, es hätte keinerlei Fax, keine Anrufe gegeben, gab ich als Auskunft. Die Welt respektiert unsere Sommerpause. Jetzt trinken wir ein Glas Rotwein.
Ich sah an ihr vorbei ins blaue Wasser, sah unseren Steg, die Wiese davor, und dachte immer wieder, was sollte ich hier alleine? (…)

Die Rettung brachte sie wieder.
Nein, der niedergelassene, aber auch für das Krankenhaus zuständige Urologe habe keinerlei Hinweise auf Krebs gefunden. Es müsse sich um eine geplatzte Ader oder irgendetwas anderes handeln, zur Sicherheit werde er aber – wie in solchen Fällen üblich – eine Gewebeprobe ins Labor einschicken.
Wir verständigten Freund Rainer. Der hatte natürlich längst schon mit dem Urologen gesprochen.
Rainer meinte auch, jetzt sei einmal der erlösende Befund des Labors abzuwarten. Bis dahin Schonung, die­se oder jene Therapie und so. Es vergingen zehn Tage. Ihr ging es nicht gut. Aber ich sagte immer wieder, es ist kein Krebs, der Urologe mag dir nicht angenehm gewesen sein, aber er wird sein Geschäft schon verstehen.

Jetzt sitzen wir da mit unserem Arzt und Freund.
Der See gluckst unbeteiligt. Sie saugt an der Zigarette. Blasenkrebs ist bei Rauchern weit häufiger, sagt Rainer, so wie Lungenkrebs. Ich bin unfähig zur Wut. Zur Wut über die Vergeblichkeit des Bittens und Forderns. Noch einmal erklärt Rainer uns, dass sie schon morgen um sieben in die besten Hände käme. Dann fährt er. (…)
Wir sind geschäftsmäßig nervös, wie einst vor einer Uni-Prüfung. Sie startet das Auto. In der ersten Kurve dreht sie den Kopf in Richtung See und sagt: Ob ich den noch einmal sehe?

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