Der Berliner Sebastian Weigle ist Dirigent der "Tiefland"-Produktion an der Volksoper. Lesen sie hier das Interview.
Warum wird d’Alberts Oper so selten gespielt?
Sebastian
Weigel: Tiefland wurde 20 Jahre nicht mehr gespielt, und ich frage mich
selber, woran das liegt. Gab es keine Regisseure, die sich dafür
interessierten? Wenn man den Text eins zu eins durchliest, dann denkt man
natürlich: Das ist ganz schön platt, das ist die Sprache von ganz einfachen
Leuten. Aber darum geht es doch auch: Das sind ganz einfache Leute. Doch die
Musik ist so grandios, die gehört auf Fälle gespielt. Musikalisch ist es ein
Meisterwerk ohne Ende. Und jetzt erlebt es eine Renaissance. Viele Häuser in
Deutschland spielen wieder Tiefland.
Was macht Tiefland zum Meisterwerk?
Es enthält viel französisches
Flair und ist unglaublich lyrisch. Tiefland verfügt über einen unendlichen
Reichtum an Melodien, und es eine der ersten Oper, die durchkomponiert ist.
Die Szenen fließen ineinander über. Der Zuschauer kriegt sofort mit, wohin
die Geschichte geht und kann sich richtig fallen lassen. Auch nach einem
Achtstunden-Arbeitstag. Kritiker sagen, da kommen nur vier Themen vor und
die werden in verschiedenen Tonarten abgehandelt. Aber das ist gerade die
Kunst: D’Albert arbeitet wie Wagner mit Leitmotiven: Wenn das Thema des
Wolfs anklingt, dann wird auf der Bühne auch über den Wolf gesprochen. Diese
Themen werden verfremdet, vergrößert, verkleinert, umspielt, und das alles
in höchster Meisterschaft.
Die Handlung unterscheidet zwischen dem „sündigen“ Tiefland und der
„reinen“ Bergwelt.
Die Berge stehen für Freiheit, dort
gibt es keinen Zank und Hader. In der Natur herrscht die große Freiheit.
Diese Liebe und Sehnsucht zu den Bergen hat sich im letzten Jahrhundert
nicht verändert. Ich persönlich mag ja lieber die Ebene und das Meer.
Wie setzt d’Albert diese Sehnsucht nach den Bergen musikalisch um?
Schalmeien
waren das Hirteninstrument in den Bergen. Das wird mit vielen
Klarinettensoli umgesetzt. Wir machen das auch visuell sichtbar: Ein
Schalmeienspieler, das heißt ein Klarinettist, kommt im Vorspiel auf die
Bühne und spielt diese Berg- und Tal-Themen, die sich lautmalerisch mit dem
Echo spielen. Das ist eine besondere Freude.
In Barcelona, wo Sie Generalmusikdirektor am Gran Teatre del Liceu sind,
arbeiten Sie nach dem Stagione-Prinzip. Wie schwer fällt die Umstellung auf
den Repertoire-Betrieb?
Das geht mir manchmal wirklich auf die
Nerven. Ich verstehe dieses System nicht immer. Warum müssen alle Musiker
bei angesetzten sechs, in Worten: sechs, Vorstellungen in dieses Stück
eingearbeitet werden? Dass man für den Fall von Krankheiten eine zweite
Besetzung braucht, ist klar. Aber warum muss es eine dritte Besetzung und
manchmal noch eine vierte geben? Da fängt man dann bei manchen Proben wieder
bei zehn Prozent an und muss alles wiederholen. Im Stagione-Betrieb habe ich
von der ersten Probe bis zur letzten Vorstellung dieselben Musiker im
Orchester. Aber wie schnell ich im Orchester eine Qualität erreichen kann,
ist natürlich immer die wichtigste Frage.
Wie stehen Sie zum Regietheater, das Opern gerne auf den Kopf stellt?
Ich
muss einmal grundsätzlich sagen: Ich mag das Regietheater. Aber wenn ein
Stück so sehr entfremdet wird, dass es im Grunde gar nicht mehr stattfindet,
das unterstütze ich nicht. Wenn das Stück Die Zauberflöte heißt, dann möchte
ich Die Zauberflöte sehen.
Diesmal heißt das Werk Tiefland
Das Stück heißt Tiefland,
und wir werden auch Tiefland zeigen. Aber es ist in den 70er Jahren
angesiedelt: Diese Zeit hat einen unerschöpflichen Reichtum an Farben und
Farbkombinationen, die heute manchmal out, aber oft schon wieder in sind.
Ich finde, das passt ganz gut. Die Handlung spielt sich im Inneren einer
großen Mühle ab und durch das Licht werden verschiedene Intimitäten
hergestellt und Stimmungen erzeugt.
Ihre siebente Produktion an der Volksoper ist gleichzeitig die erste der
Ära Meyer. Spüren Sie einen frischen Wind unter dem neuen Direktor?
Der
rote Teppich in der Direktion ist neu, aber es ist auch sonst unglaublich
viel passiert. Ich glaube, man nimmt die Volksoper stärker wahr. Mir gefällt
dieser neue Anstrich.