Schonungslos offen

"Mein halbes Leben" von Marko Doringer

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Der Film ist ein humorvolles und doch nachdenkliches Generationenportrait, das schon die Diagonale-Jury beeindruckte.

Marko Doringer hat ein Problem. Ein Problem, das viele aus seiner Generation kennen. Sie sind 30, haben kein Studium abgeschlossen, keine Berufsausbildung, kein Haus gebaut, kein Geld. "Ich habe weder Kind noch Frau noch Freundin", beschreibt der Salzburger Filmemacher seine Prämisse. "Ich habe nichts, ich bin nichts - und in 30 Jahren bin ich tot." So hat er sich auf die Suche gemacht, nach sich selbst, seinen Freunden und dem Sinn des Lebens. Was sich trist anhört, hat sich zu einem ebenso humorvollen wie nachdenklichen Generationenporträt entwickelt, das sowohl die Diagonale-Jury als auch das Publikum der renommierten Hofer Filmtage überzeugte. Ab 1. Jänner im Kino.

Doringers Film ist essayistisches Kino par excellence, seine eigenen Gedanken verflechten sich in der 93-minütigen Doku tagebuchartig mit den Gesprächen zwischen ihm und seiner Umgebung, und die Wahl seiner Protagonisten ist klug und prototypisch getroffen: Der Manager Thomas, die Modedesignerin Katharina, der Journalist Martin sind alle im gleichen Alter, stellen sich alle die Fragen nach Karriere, Sicherheit, Eigenverantwortung, Familie und Freiheit. Doringer dringt tief in ihr Leben ein, es entstehen intime, aber niemals peinliche Situationen, es wird Einfühlung ebenso wie Reflexion ermöglicht, stets gefilmt aus der subjektiven Perspektive des Regisseurs und gleichzeitig Kameramanns.

Es ist wohl nicht zuletzt die schonungslose Offenheit, die den Film so gut funktionieren lässt: Thomas kämpft damit, seine Karriere und seinen Traum vom ruhigen Familienleben am Land unter einen Hut zu bringen, Katharina ist Freiberuflerin und kommt mit ihrem Freund immer wieder auf das Thema Nachwuchs zu sprechen, und Martin fühlt sich mit seinem Nine-to-Five-Journalistenjob als Lohnsklave, der sich nicht selbst verwirklichen kann. Hier wird vor der Kamera gestritten, philosophiert, geplaudert, geschwiegen - und die Entwicklung der einzelnen Personen kann über rund eineinhalb Jahre und für den Zuschauer gänzlich ohne Spannungsverlust mitverfolgt werden.

Bei Marko Doringer selbst offenbart sich in dieser Zeit, in der er sich immer wieder beim Ankämpfen gegen seine Depression und im Zwiegespräch mit seinem Psychotherapeuten zeigt, ein schwelender Vater-Sohn-Konflikt, der während der Drehzeit auch angesprochen und thematisiert wird. Wenn es um die Berufswahl geht, rät ihm sein Vater schon einmal, die Kamera doch lieber für Urlaubsvideos zu verwenden und stattdessen fertig zu studieren. Zum Glück hat sich Doringer nicht beirren lassen, die zahlreichen Absagen von Förderstellen mit noch mehr Ehrgeiz quittiert, seine Lebenskrise mit "charmanter Selbstironie" (Tagesspiegel) bekämpft und schließlich auch verdient den Großen Dokumentarfilmpreis der Diagonale gewonnen.

So mancher wird sich nach dem Film wohl wünschen, sich ähnlich auf seine Krisen einlassen zu können und am Ende auch nur annähernd so souverän wieder im Leben aufzutauchen. Das liegt vermutlich daran, dass man die Personen aus seiner eigenen Umgebung so gut zu kennen scheint und ihr Verhalten an das eigene in ähnlichen Situationen erinnert. "Wir können es uns leisten, uns zu überlegen, ob wir mit dem Leben, das wir leben können oder dürfen, glücklich sein wollen oder nicht", schließt Doringer. Diese Conclusio aus der schieren Unmenge an Film- und Gedankenmaterial schließlich herauszukristallisieren, ist schon allein eine zu würdigende Leistung.

Foto: (c) Marko Doringer

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